EU-Staaten einig über Flüchtlings-Umverteilung
Nach jahrelangem Streit haben sich die EU-Staaten grundsätzlich auf die Umverteilung von Flüchtlingen geeinigt. Die Innenminister sprachen sich am Freitag in Luxemburg mit großer Mehrheit für einen sogenannten Solidaritäts-Mechanismus aus, der Mittelmeeranrainer wie Italien und Griechenland entlasten soll, wie die EU-Kommission und der französische Ratsvorsitz mitteilten. Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) sprach von einem "wichtigen Fortschritt". Deutschland könnte unter der freiwilligen Regelung tausende Menschen aufnehmen.
Der Kerngedanke des "freiwilligen Solidaritätsmechanismus": Eine "Koalition der Willigen" nimmt besonders belasteten Ländern wie Italien, Griechenland, Zypern oder Malta Migranten ab. Wer dazu nicht bereit ist, soll einen bisher noch nicht festgelegten finanziellen Beitrag an sie zahlen oder anderweitig helfen. Binnen eines Jahres ist laut EU-Diplomaten so die Umverteilung von rund 10.000 Menschen in Europa vorgesehen.
EU-Innenkommissarin Ylva Johansson lobte den "bedeutenden Fortschritt". Der französische Innenminister Gérald Darmanin, dessen Land noch bis Ende Juni den Vorsitz der Mitgliedstaaten hat, sprach gar von einer "kleinen Revolution".
Denn Polen, Ungarn und andere vor allem östliche EU-Staaten weigern sich seit der Flüchtlingskrise 2015, Menschen etwa aus Syrien oder dem Irak aufzunehmen. Im russischen Angriffskrieg nahm Polen dann aber rund drei Millionen Ukrainer auf.
Der Teufel der Einigung steckt im Detail: Wie viele EU-Länder wirklich Flüchtlinge aufnehmen, ist noch offen. Dafür will Frankreich vor Ende seines Ratsvorsitzes Ende Juni mit der EU-Kommission eine "Solidaritäts-Plattform" organisieren. Bis zu zwölf der 27 EU-Länder hatten sich nach französischen Angaben aufnahmebereit gezeigt.
"Deutschland ist auf jeden Fall dabei", versprach Bundesinnenministerin Faeser in Luxemburg. Dem Vernehmen nach könnten von den insgesamt 10.000 Menschen gut die Hälfte nach Deutschland und Frankreich kommen, also insgesamt etwa 5000. Das ist ein Bruchteil der rund eine Million Menschen, die 2015 in die Bundesrepublik genommen waren.
Österreich gehört zu den bis zu drei Ländern, die die Umverteilung ablehnen. Innenminister Gerhard Karner sprach von einem "falschen Signal" an Schlepperbanden. Wichtig sei vielmehr "ein robuster, funktionierender Außengrenzschutz".
Dafür tritt auch Frankreichs Präsident Emmanuel Macron ein, der mit starken Rechtspopulisten im eigenen Land konfrontiert ist. Deshalb soll bei ankommenden Flüchtlingen nach der Grundsatzeinigung stärker geprüft werden, ob sie überhaupt Chancen auf Asyl haben. Zudem soll die gemeinsame Eurodac-Datenbank verbessert werden, in der biometrische Fingerabdrücke der Menschen gespeichert werden.
"Sehr positiv" nannte der französische Innenminister Darmanin auch die Einigung auf neue Regeln für den Schengen-Raum, dem auch die Schweiz angehört. Macron hatte diese Reform gefordert, um etwa im Fall einer Pandemie oder von Terroranschlägen leichter wieder Kontrollen an den Binnengrenzen durchführen zu können.
"Schengen heißt offene Grenzen und nicht Restriktionen", mahnte der luxemburgische Außenminister Jean Asselborn, der auch für Immigrationsfragen zuständig ist. Er kritisierte, dass derzeit immer noch sieben Schengen-Länder die Reisefreiheit einschränken - unter anderem wegen der Waffenlieferungen an die Ukraine.
Der formelle Beschluss für den Solidaritätsmechanismus und den besseren Grenzschutz wird in Kürze erwartet. Dafür reicht eine qualifizierte Mehrheit der EU-Staaten aus - also 15 Länder, die 65 Prozent der EU-Bevölkerung auf sich vereinen.
D.S.Robertson--TNT