
Lindner sieht FDP "auf der Kippe" - und bittet um Stimmen

Angesichts der schwachen Umfragewerte für seine Partei hat FDP-Chef Christian Lindner vor einem Ende des politischen Liberalismus in Deutschland gewarnt. "Wir stehen gegenwärtig in den Umfragen auf der Kippe, wir wissen es", sagte Lindner am Sonntag beim FDP-Bundesparteitag in Potsdam - und warb eindringlich für eine Stimmabgabe zugunsten der Liberalen. Ohne eine liberale Kraft im Bundestag wäre Deutschland "eine andere Republik", sagte Lindner. Eine Koalition mit den Grünen nach der Wahl schloss er explizit aus.
Lindner richtete einen Appell an die liberal denkenden Menschen im Land: "Wer das Potenzial einer liberalen Partei im deutschen Parlamentarismus für die Zukunft erhalten will, der muss jetzt zur Fahne kommen", sagte er. Bei der Bundestagswahl am 23. Februar gehe es nun darum, "dass im Deutschen Bundestag wieder die liberale Partei ist, die als einzige aus Überzeugung Marktwirtschaft und bürgerliche Freiheitsrechte verbindet".
In den Umfragen liegt die FDP derzeit unter fünf Prozent, ihr Wiedereinzug in den Bundestag ist damit gefährdet. Bei ihrem Bundesparteitag in Potsdam verabschiedeten die Delegierten einen Wahlaufruf, der die Kernpunkte des FDP-Programms zusammenfasst und Bedingungen für den Eintritt in eine Koalition formuliert. Eine Koalition mit den Grünen schließt die FDP darin ausdrücklich aus. Als Ziel nennt sie eine Koalition mit der Union, auch ein Bündnis mit Union und SPD hält sie für denkbar.
Lindner verschonte den Unions-Kanzlerkandidaten Friedrich Merz (CDU) nicht mit Kritik. Er warf Merz vor, auch für eine Koalition mit den Grünen zur Verfügung zu stehen - und damit den erforderlichen Politikwechsel zu verhindern. Lindner ging zudem auf Distanz zu Merz` Bundestags-Vorstoß zur Migrationspolitik.
Merz sei "hohe politische Risiken" dadurch eingegangen, dass er im Bundestag auf die Stimmen der AfD setzte, sagte Lindner. Damit habe er "das Land gespalten" und die Aufmerksamkeit vom wichtigen Thema Wirtschaftspolitik abgelenkt.
Der FDP-Chef ließ in diesem Zusammenhang Zweifel an der Kanzlertauglichkeit von Merz erkennen. "Welche Berater hat Friedrich Merz?", fragte Lindner. "Er wird möglicherweise auch im Falle seiner Kanzlerschaft ein Fall für betreutes Regieren sein."
Für seine Partei sieht der FDP-Chef eine Rolle als marktwirtschaftliches Korrektiv einer künftigen unionsgeführten Bundesregierung. "Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit wird der nächste Kanzler der Bundesrepublik Deutschland Friedrich Merz heißen - aber in welcher Koalition, das ist doch entscheidend", sagte Lindner.
Der FDP-Chef widersprach in seiner Rede den Äußerungen von Merz und CSU-Chef Markus Söder, die davor gewarnt haben, dass "Leihstimmen" für die FDP letztlich die Union schwächen könnten. "Diese stolze, traditionsreiche Freie Demokratische Partei, sie wirbt nicht um Leihstimmen", sagte Lindner. "Wir wollen Bekenntnisstimmen haben. Wer uns gut findet, möge uns wählen."
Ausdrücklich schließen die Freien Demokraten in ihrem Wahlaufruf "jede Zusammenarbeit" mit AfD, Linkspartei und dem BSW nach der Bundestagswahl aus. Lindner äußerte in seiner Rede auch Zweifel an der Wirksamkeit der jüngsten Massendemonstrationen gegen rechts.
"Die AfD macht man nicht klein mit Lichterketten, die AfD macht man klein, indem man die Probleme klein macht, die diese Partei einst groß gemacht haben", sagte Lindner. Er sprach sich gegen moralische Appelle und Beschimpfungen gegen Wählerinnen und Wähler der AfD aus.
Mit seinen ehemaligen Koalitionspartnern SPD und Grünen ging Lindner scharf ins Gericht. Er warf Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) vor, im Wahlkampf Hilfen für die Ukraine gegen Sozialausgaben in Deutschland auszuspielen. "Olaf Scholz hat es verpasst, ein Beispiel an sittlicher Reife für uns alle zu werden", kritisierte Lindner. Den Grünen-Spitzenkandidaten Robert Habeck titulierte er als "größte Wachstumsbremse in unserem Land".
In ihrem Wahlaufruf setzen die Liberalen zwei inhaltliche Schwerpunkte: eine "Wirtschaftswende" zur Belebung der Konjunktur und eine Begrenzung der irregulären Migration.
Zu den Bedingungen, welche die FDP für einen Regierungseintritt formuliert, zählen eine umfassende Steuerreform mit Entlastungen für Bürger und Unternehmen, das Festhalten an der Schuldenbremse, eine stärkere Kapitaldeckung bei der Altersvorsorge, bundesweit einheitliche Standards beim Abitur sowie ein Abrücken von "illusorischen" Zielen beim Klimaschutz.
I.Paterson--TNT