Dutzende Festnahmen und Verletzte bei "Flaggenmarsch" in Jerusalem
Der umstrittene "Flaggenmarsch" ultranationalistischer Israelis in Jerusalem hat am Sonntag neue Spannungen ausgelöst. Unter hohen Sicherheitsvorkehrungen beteiligten sich am Nachmittag rund 70.000 Menschen an dem Marsch durch die Altstadt von Jerusalem. Die Polizei meldete mehr als 60 Festnahmen. Nach Angaben des Roten Halbmondes wurden 79 Palästinenser in Jerusalem verletzt.
Die israelische Polizei war in erhöhter Alarmbereitschaft. Rund 3000 Polizisten wurden wegen des umstrittenen Marschs mobilisiert, mit dem nationalistische Israelis an die israelische Besetzung von Ost-Jerusalem im Sechs-Tage-Krieg 1967 erinnern.
Tausende Teilnehmer des "Flaggenmarsches" strömten am Nachmittag durch das Damaskus-Tor in die Altstadt. "Dies ist unser Land", sagte der 18-jährige jüdische Israeli Ofer Amar. "Die Palästinenser sind Gäste in unserem Land." Dutzende Israelis hissten Fahnen am Tor, während andere auf den umliegenden Stufen sangen und tanzten, wo es im Vorfeld des Marsches zu vereinzelten Zusammenstößen gekommen war.
"Tod den Arabern", riefen einige Israelis während des "Flaggenmarsches". Palästinensische Gegendemonstranten warfen von Dächern aus Steine auf die Teilnehmer des Umzugs.
Im besetzten Westjordanland fanden mehrere Gegenkundgebungen statt. Palästinensische Demonstranten lieferten sich dabei Auseinandersetzungen mit israelischen Sicherheitskräften. Mehr als hundert Palästinenser wurden nach Angaben des Roten Halbmondes verletzt.
Am Sonntagmorgen hatten rund 2600 Nicht-Muslime und damit mehr als sonst den Tempelberg besucht, unter ihnen neben den Touristen auch viele Juden. Die Polizei berichtete von vereinzelten Konfrontationen und Festnahmen.
Nach ihren Angaben hatten einige Juden gegen die "Besuchsregeln" auf dem Tempelberg verstoßen, Palästinenser reagierten daraufhin mit Steinwürfen. Bei vereinzelten Zusammenstößen in der Altstadt wurden nach Angaben des palästinensischen Roten Halbmonds 79 Menschen verletzt.
Für Muslime ist der Hügel mit dem Felsendom und der Al-Aksa-Moschee die drittheiligste Stätte nach Mekka und Medina. Doch auch das Judentum verehrt den Tempelberg als seinen allerheiligsten Ort.
Der Tempelberg steht unter muslimischer Verwaltung; um Provokationen zu vermeiden, dürfen Juden - wie andere nichtmuslimische Besucher - den Tempelberg zwar zu bestimmten Zeiten besichtigen, aber dort nicht beten.
Über die Sicherheit des Geländes wacht die israelische Polizei. Nationalistische Israelis brechen jedoch immer wieder bewusst das Gebetsverbot.
Zu den israelischen Besuchern des Tempelbergs gehörte am Vormittag auch der für seine Provokationen bekannte rechtsradikale Abgeordnete Itamar Ben Gvir. Er habe mit seinem Besuch zeigen wollen, dass Israel die Souveränität auch über den Tempelberg habe, sagte er anschließend.
Im vergangenen Jahr hatte es rund um den Jerusalemtag schwere Zusammenstöße zwischen israelischen Sicherheitskräften und Palästinensern in Ost-Jerusalem gegeben. Die Krawalle mündeten in eine elftägige Gewalteskalation mit gegenseitigem heftigen Raketenbeschuss zwischen Israel und der im Gazastreifen herrschenden Hamas-Bewegung. Dabei wurden mehr als 270 Menschen getötet, die meisten davon Palästinenser.
Israel hatte den Ostteil von Jerusalem 1980 annektiert. Die Annexion wird international nicht anerkannt. Israel hat ganz Jerusalem zu seiner "unteilbaren" Hauptstadt erklärt, während die Palästinenser Ost-Jerusalem zur Hauptstadt des von ihnen angestrebten eigenen Staates machen wollen.
Der Konflikt zwischen Israel und militanten Palästinensern hatte sich in den vergangenen Wochen wieder verschärft. Seit März wurden bei anti-israelischer Gewalt durch Palästinenser und arabische Israelis 19 israelische Zivilisten getötet.
Die israelischen Sicherheitskräfte reagierten mit Einsätzen in Israel und im von Israel besetzten Westjordanland - vor allem in der Gegend um Dschenin, einer Hochburg bewaffneter Palästinensergruppen.
Dabei starben drei israelisch-arabische Angreifer, ein Polizist sowie 35 Palästinenser in Israel und im Westjordanland. Unter den Toten waren Mitglieder bewaffneter Gruppen, aber auch Zivilisten sowie die Journalistin Schirin Abu Akleh, die erschossen wurde, als sie über einen Armeeeinsatz in Dschenin berichtete.
T.Bailey--TNT