Syriens neue Machthaber wollen alle Milizen im Land der Armee eingliedern
Syriens neue Machthaber wollen alle Waffen im Land unter staatliche Kontrolle stellen und sämtliche Milizen in die Armee eingliedern. Der Chef der islamistischen Miliz Hajat Tahrir al-Schams (HTS), Ahmed al-Scharaa, sagte am Sonntag bei einer Pressekonferenz mit dem türkischen Außenminister Hakan Fidan, alle bewaffneten Gruppen würden bald "ihre Auflösung" bekanntgeben, um sich den Streitkräften anzuschließen. Fidan forderte seinerseits eine rasche Aufhebung der Sanktionen gegen Syrien.
Das Treffe zwischen al-Scharaa und Fidan fand zwei Wochen nach dem Sturz des langjährigen Machthabers Baschar al-Assad durch die HTS und mit ihr verbündete Milizen statt. Die neuen Machthaber bemühen sich seither, die Neuordnung der staatlichen Strukturen und den Wiederaufbau des durch den fast 14-jährigen Bürgerkrieg schwer gezeichneten Landes voranzutreiben. Fidan appellierte an die internationale Gemeinschaft, dafür die gegen die Assad-Regierung gerichteten Syrien-Sanktionen "so rasch wie möglich" aufzuheben.
HTS-Chef al-Scharaa sagte seinerseits, seine Miliz werde nicht zulassen, "dass es im Land Waffen außerhalb der staatlichen Kontrolle gibt". Dies gelte auch für die nordöstlichen Gebiete unter Kontrolle der Demokratischen Kräfte Syriens (SDF). Innerhalb der SDF dominiert die kurdische YPG-Miliz, gegen welche die türkische Armee und ihre Verbündeten kämpfen. Die türkischen Streitkräfte und die mit ihr verbündeten Gruppen halten andere Teile Nordsyriens besetzt.
Ihre Einsätze gegen die kurdisch kontrollierten Gebiete in Nordsyrien setzt die Türkei auch seit dem Umsturz im Land fort. Die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte erklärte am Samstag, die türkischen Truppen hätten mit einer Drohne ein Fahrzeug in der Provinz Hassake beschossen und fünf Zivilisten getötet.
Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan hatte am Freitag gesagt, es sei "an der Zeit, die in Syrien existierenden Terrorgruppen auszulöschen". Ankara betrachtet die YPG-Miliz als Ableger der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK), die von der Türkei - wie auch von der EU und den USA - als Terrororganisation eingestuft wird. Die USA sind allerdings seit Jahren mit der YPG-Miliz im Kampf gegen die Dschihadistenmiliz Islamischer Staat (IS) verbündet.
Die Türkei wiederum ist eine wichtige Unterstützerin der HTS. Der türkische Einfluss in Syrien ist folglich seit dem Umsturz gewachsen. Fidan trat jedoch dem Eindruck entgegen, dass die türkische Unterstützung den Sturz Assads ermöglicht habe, der nach einer zweiwöchigen Blitzoffensive und der Einnahme der Hauptstadt Damaskus nach Russland geflüchtet war. "Dieser Sieg gehört Euch und niemand Anderem", sagte der türkische Außenminister an die Adresse des HTS-Chefs.
Zugleich äußerte Fidan die Erwartung, dass der designierte US-Präsident Donald Trump die Unterstützung seines Landes für die kurdischen Kämpfer in Nordsyrien beenden werde. Dies entspreche den US-Interessen, wenn Trump zwischen der Bedeutung der Türkei oder einer "terroristischen Organisation wie der PKK" für sein Land abwäge.
Al-Scharaas Treffen mit Fidan war Teil einer diplomatischen Offensive, die die neuen syrischen Machthaber vor einigen Tagen gestartet hatten. Die HTS wurde bislang von vielen westlichen Staaten, darunter den USA, als Terrororganisation eingestuft. Sie präsentiert sich jedoch als moderate Kraft, die das Land vereinen und stabilisieren will.
So versicherte al-Scharaa, der bislang unter seinem Kampfnamen Mohammed al-Dscholani aufgetreten war, bei der Pressekonferenz mit Fidan, dass seine Miliz darauf hinarbeite, die verschiedenen ethnischen und religiösen Gruppen im Land vor Angriffen zu schützen. "Syrien ist ein Land für alle, und wir können zusammenleben", sagte er.
Zuvor am Sonntag hatte al-Scharaa bei einem Treffen mit Vertretern der drusischen Minderheit im Libanon versichert, dass Damaskus sich nicht weiter "negativ in die Angelegenheiten des Libanon einmischen" werde. Die neue syrische Führung "respektiert die Souveränität des Libanon, die Einheit seines Territoriums, die Unabhängigkeit seiner Entscheidungen und seine Sicherheitsstabilität".
Die syrische Armee war 1976 als Teil arabischer Streitkräfte in den Libanon einmarschiert, um den dort ein Jahr zuvor ausgebrochenen Bürgerkrieg zu beenden. Syrische Truppen blieben dann jedoch bis 2005 in dem Nachbarland präsent, wo pro-syrische Gruppierungen wie die Hisbollah-Miliz fortan sämtliche Bereiche des politischen und militärischen Lebens beherrschten.
Bereits am Freitagabend hatten die neuen syrischen Machthaber nach einem Treffen mit einer US-Delegation erklärt, sie wollten zu einem "regionalen Frieden" beitragen. Inzwischen ernannte die HTS auch einen Außenminister. Es handelt sich um Assaad Hassan al-Schibani, der sich nach Angaben der Miliz 2011 der "syrischen Revolution" gegen Assad angeschlossen hatte.
M.Wilson--TNT