Kräftiges Plus bei Steuereinnahmen erwartet - Lindner mahnt zur Vorsicht
220,4 Milliarden Euro mehr als zuvor gedacht - dieses Einnahmeplus sagt die neue Steuerschätzung Bund, Ländern und Kommunen bis 2026 voraus. Allerdings sind darin bereits auf den Weg gebrachte Steuersenkungen nicht berücksichtigt, zudem steht die Prognose wegen des Ukraine-Kriegs auf unsicheren Füßen. Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) ermahnte die Koalition zur Ausgabendisziplin. Union und Linke forderten mehr Entlastung für die Bürger.
Die finanziellen Folgen der bereits beschlossenen, aber noch nicht in Kraft getretene Entlastungspakete bezifferte das Ministerium am Donnerstag auf insgesamt 51,1 Milliarden Euro bis 2026, davon allein 21,92 Milliarden Euro im laufenden Jahr. Auf den Bund entfallen davon 2022 rund 16,7 Milliarden Euro. Die von den Steuerschätzenden vorausgesagten Mehreinnahmen von 16,9 Milliarden Euro im Vergleich zur November-Schätzung würden damit wieder aufgefressen.
"Daneben sind weitere Gesetzgebungsvorhaben in Planung, die voraussichtlich das Aufkommen der Steuereinnahmen zusätzlich verringern werden und für die im Bundeshaushalt ebenfalls entsprechend Vorsorge getroffen werden muss", erklärte das Finanzministerium. Unter dem Strich könnte sich für den Bund also sogar ein Einnahmeminus statt eines Zuwachses ergeben.
"Es gibt keinen Anlass für Jubelmeldungen", sagte daher auch Lindner bei der Vorstellung der neuen Zahlen. "Es gibt nicht einen Grund, feuchte Augen zu bekommen und lange gehegte Vorhaben nun anzugehen", warnte der Finanzminister die Koalition vor neuen Ausgabewünschen. "Alle gemeinsam haben wir uns den Realitäten zu stellen." Es gebe "keine großen Verteilungsspielräume".
Allerdings kündigte Lindner an, die kalte Progression anzupacken - so wird der Effekt genannt, dass Menschen durch Lohnerhöhungen in einen höheren Steuertarif rutschen, ohne dass das Lohnplus die Inflation ausgleichen würde.
Am Ziel, ab 2023 die Schuldenbremse wieder einzuhalten, will Lindner festhalten. Jedoch werde dies "kein Selbstläufer", sagte er.
Der Grünen-Finanzexperte Sven-Christian Kindler warnte vor einer zu strengen Haushaltspolitik. "In eine Krise und in einem Transformationsprozess spart man nicht hinein, sondern man handelt aktiv und finanziert das Notwendige", erklärte er. Kindler deutete zudem an, dass auch Steuerhöhungen für Reiche sinnvoll sein könnten: "Eine gerechte Steuer- und Finanzpolitik, bei der starke Schultern in einer Krise mehr tragen, ist aktueller denn je."
Der Unions-Haushaltspolitiker Christian Haase (CDU) erkläre, der Staat solle "die Inflationsgewinne" zurückgeben. Er bezog sich darauf, dass ein Teil des berechneten Steuerzuwachses durch die hohe Inflation erklärt werden kann, wenngleich Lindner betonte, der Effekt sei eher klein. "Bürger und Unternehmen ächzen unter den extremen Teuerungen beispielsweise bei Lebensmitteln, Rohstoffen und Energie", erklärte Haase. "Hier muss wirksam gegengesteuert werden."
Linken-Finanzexperte Christian Görke mahnte ebenfalls: "Während der Alltag für viele Menschen unbezahlbar wird, weil Tanken, Heizen und Essen immer teurer werden, klingelt beim Finanzminister die Kasse." Daher seien "Rekordentlastungen für die Verbraucher das Gebot der Stunde". Außerdem forderte Görke, die großen Energiekonzerne als "Krisenprofiteure" in die Pflicht zu nehmen und deren "außerordentliche Gewinne" abzuschöpfen.
W.Baxter--TNT