Kämpfe im Gazastreifen nach israelischer Übernahme von Kontrolle über Grenzkorridor
Nach der Übernahme der Kontrolle eines wichtigen Grenzkorridors zwischen dem Gazastreifen und Ägypten durch Israel sind die Kämpfe im Gazastreifen am Donnerstag unvermindert heftig fortgesetzt worden. Bewohner der Stadt Rafah im Süden des Gazastreifens meldeten intensiven Artilleriebeschuss und heftige Schüsse. Nach den Worten des israelischen Armeesprechers Daniel Hagari dienten die nahe Rafah im Philadelphi-Korridor entdeckten Tunnel der radikalislamischen Hamas als "Sauerstoff-Pipeline" für den Waffenschmuggel. Chinas Staatschef Xi Jinping forderte derweil eine Nahost-Friedenskonferenz.
Augenzeugen beobachteten nach eigenen Angaben Kämpfe im Zentrum und im Westen Rafahs. Zudem gaben sie gegenüber der Nachrichtenagentur AFP an, dass israelische Streitkräfte mehrere Gebäude im Osten der Stadt zerstört hätten.
Ein AFP-Reporter berichtete zudem von der Flucht zahlreicher Menschen aus dem westlichen Gebiet von Rafah. Dort wurden nach einem Luftangriff mindestens vier Leichen in das Nasser-Krankenhaus gebracht wurden, wie die Klinik mitteilte.
Ein AFP-Korrespondent berichtete überdies von Artilleriebeschuss und Schüssen in Seitun, einem Viertel der nördlich gelegenen Stadt Gaza. Augenzeugen sahen auch dichten Rauch über den nördlich gelegenen Orten Dschabalija und Beit Lahia aufsteigen.
Im Zentrum des Gazastreifens beerdigten Palästinenser Angehörige, die bei einem nächtlichen Angriff in Nusseirat getötet worden waren, wie ein AFP-Reporter berichtete.
Die israelische Armee erklärte ihrerseits am Donnerstag, sie habe in den Tagen zuvor mehr als 50 Ziele im Gazastreifen ins Visier genommen. Die Truppen hätten in Rafah Waffen, Sprengstoff und Tunnelschächte entdeckt. Zudem seien sie in Dschabalija von militanten Palästinensern angegriffen worden. Ein Kampfjet habe bewaffnete Kämpfer getroffen und zwei von ihnen getötet.
Am Mittwoch hatte die israelische Armee erklärt, sie habe "die operative Kontrolle" über den 14 Kilometer langen Sicherheitskorridor zwischen Ägypten und dem Gazastreifen erlangt. Die israelischen Streitkräfte entdeckten dort eigenen Angaben zufolge rund 20 Tunnel.
"Der Philadelphi-Korridor diente der Hamas als Sauerstoff-Pipeline, durch die sie regelmäßig Waffen in den Gazastreifen transportierte", sagte Armeesprecher Hagari. Östlich der Stadt Rafah sei die Armee rund hundert Meter vom gleichnamigen Grenzübergang zwischen Ägypten und dem Gazastreifen auf eine "weitverzweigte unterirdische terroristische Infrastruktur mit einer Länge von anderthalb Kilometern" gestoßen.
Der sogenannte Philadelphi-Korridor wurde 1979 durch das ein Jahr zuvor geschlossene historische Friedensabkommen zwischen Israel und Ägypten geschaffen. Die israelische Armee nutzte ihn bis zu ihrem vollständigen Rückzug aus dem Gazastreifen 2005 als Patrouillenweg. Israel vermutet seit langem, dass militante Gruppen in dem Palästinensergebiet den Korridor für den Waffenschmuggel nutzen.
Ägypten dementierte die Existenz der Tunneln unter der Grenze. "Israel nutzt diese Behauptungen, um die Fortsetzung des Einsatzes gegen die palästinensische Stadt Rafah zu rechtfertigen und den Krieg zu politischen Zwecken zu verlängern", sagte ein ranghoher Vertreter Ägyptens nach Angaben der ägyptischen Nachrichtenagentur Al-Kahera News.
Ägyptens Präsident Abdel Fattah al-Sisi hatte allerdings nach seinem Amtsantritt 2013 selbst die Zerstörung hunderter Tunnel zwischen seinem Land und dem Gazastreifen veranlasst. Er warf damals der dort regierenden Hamas vor, die Tunnel seit ihrer Machtübernahme 2007 für den Transport von Waffen und Kämpfern für die militanten Islamisten auf der ägyptischen Sinai-Halbinsel zu nutzen.
Unterdessen sprach sich Chinas Staatschef Xi für eine "breit angelegte" Nahost-Friedenskonferenz aus, um den Krieg zwischen der Hamas und Israel zu beenden. Der nahe Osten sei eine Region "mit weitreichenden Entwicklungsperspektiven", betonte Xi am Donnerstag vor Vertretern arabischer Staaten in Peking, darunter Ägyptens Präsident al-Sisi. Der Krieg dort dürfe nicht ewig andauern. Gerechtigkeit dürfe "nicht ewig fehlen".
China, das gute Beziehungen zu Israel unterhält, spricht sich für eine Zweistaatenlösung aus. Diese sieht einen unabhängigen, mit Israel koexistierenden Palästinenserstaat vor. Xi sagte zudem, China unterstütze eine UN-Vollmitgliedschaft der Palästinenser.
China versucht seit einigen Jahren, engere Beziehungen zu arabischen Staaten aufzubauen und sich neben dem Rivalen USA als Konfliktvermittler zu profilieren. So vermittelte Peking eine Annäherung zwischen den beiden Regionalmächten Iran und Saudi-Arabien. Zuletzt hatte China die beiden Palästinenserorganisationen Hamas und Fatah zu Gesprächen über eine "innerpalästinensische Versöhnung" empfangen.
Der Gaza-Krieg war durch den Großangriff der Hamas am 7. Oktober auf Israel ausgelöst worden, dabei wurden israelischen Angaben zufolge mindestens 1189 Menschen getötet. Zudem verschleppten die Islamisten 252 Menschen als Geiseln in den Gazastreifen.
Als Reaktion geht Israel seither massiv militärisch im Gazastreifen vor. Nach jüngsten Angaben des Hamas-kontrollierten Gesundheitsministeriums, die sich nicht unabhängig überprüfen lassen, wurden dabei bislang mehr als 36.200 Menschen getötet.
Q.Marshall--TNT