Erste Hilfslieferungen erreichen Gazastreifen über neuen Pier
Im Gazastreifen sind am Freitag erstmals seit Kriegsbeginn internationale Hilfslieferungen über die vom US-Militär gebaute Schiffsanlegestelle angekommen. Die über den Seeweg transportierten Lastwagen mit Hilfsgütern fuhren über die Anlagestelle an Land, wie das für den Nahen Osten zuständige US-Zentralkommando Centcom mitteilte. Im Tagesverlauf sollten weitere Güter aus der EU eintreffen. Unterdessen wurden aus der Stadt Rafah im Süden des Gazastreifens und der Flüchtlingsstadt Dschabalia im Norden heftige Gefechte gemeldet.
Aus Rumänien sollten im Laufe des Freitag 88.000 Nahrungsmittelkonserven für hilfsbedürftige Palästinenser über den Pier eintreffen, wie die EU-Kommission in Brüssel mitteilte. Das US-Militär hatte den provisorischen Landungssteg am Donnerstag an einem Strand im Gazastreifen verankert. Es wird erwartet, dass in den nächsten Tagen rund 500 Tonnen Hilfslieferungen auf diesem Weg in das Palästinensergebiet gelangen.
Die USA und europäische Partner wie die EU-Kommission, Deutschland und Großbritannien hatten Anfang März den Seekorridor für Hilfslieferungen im Mittelmeer angekündigt. Da der Gazastreifen selbst über keinen Hafen verfügt, hatte das US-Militär im April mit dem Bau der Anlegestelle begonnen. Die Europäer richteten zudem ein Logistikzentrum auf Zypern ein, von wo aus die Schiffe mit den Hilfsgütern in Richtung Gazastreifen auslaufen.
Deutschland ist an den Lieferungen über den Seeweg nach Angaben des Auswärtigen Amtes nicht beteiligt. Die Bundesregierung stehe aber "mit allen Akteuren im Austausch", sagte ein Sprecher in Berlin. Ein Sprecher des Bundesverteidigungsministeriums erläuterte, die Bundeswehr beteilige sich weiter am Abwurf von Hilfsgütern über dem Gazastreifen. Inzwischen habe die Bundeswehr 250 Tonnen Hilfsgüter per sogenanntem Airdrop abgeworfen.
Die israelische Armee war in der vergangenen Woche ungeachtet internationaler Kritik in die Stadt Rafah im äußersten Süden des Gazastreifens vorgerückt und hatte dabei unter anderem den in der Stadt gelegenen Grenzübergang auf palästinensischer Seite unter ihre Kontrolle gebracht. Ägypten, an dessen Grenze Rafah liegt, weigert sich seither, die Lieferung von Hilfsgütern mit Israel abzustimmen. Am Donnerstag kündigte Israel eine Intensivierung der Bodenoffensive in der Stadt an.
Am Freitag riefen 13 westliche Länder Israel erneut auf, von einer großangelegten Militäraktion in Rafah abzusehen. Ein solche Offensive würde "katastrophale Konsequenzen für die Zivilbevölkerung" haben, heißt es in einem offenen Brief der Außenministerinnen und Außenminister Australiens, Großbritanniens, Kanadas, Japans, Neuseelands, Südkoreas, Dänemarks, Finnlands, Frankreichs, Deutschlands, Italiens, der Niederlande und Schwedens an ihren israelischen Kollegen Israel Katz.
Die Minister appellierten zudem an Israel, "alle möglichen Versorgungsrouten auf dem Landweg" in den Gazastreifen für Hilfsgüter zu öffnen.
Die Kämpfe im Gazastreifen dauerten unterdessen an. Augenzeugen berichteten von heftigen Gefechten in Dschabalia. Israelische Kriegsschiffe hätten Rafah von See aus angegriffen, hieß es zudem.
Der bewaffnete Arm der Hamas, die Essedin Al-Kassam-Brigaden, griff eigenen Angaben zufolge israelische Streitkräfte im Bereich des Grenzübergangs Rafah mit Mörsergranaten an.
Im von Israel besetzten Westjordanland wurde unterdessen ein Lastwagen mit Hilfsgütern auf dem Weg in den Gazastreifen attackiert. Das israelische Militär teilte mit, "dutzende israelische Zivilisten" hätten den Lkw in Brand gesetzt. Lokale Medien machten israelische Siedler für den Vorfall nahe der Siedlung Kochav Hashahar verantwortlich, bei dem der Fahrer und israelische Soldaten verletzt wurden.
Der Krieg im Gazastreifen war am 7. Oktober durch einen Großangriff der Hamas auf Israel ausgelöst worden. Dabei wurden nach israelischen Angaben mehr als 1170 Menschen getötet und 252 als Geiseln in den Gazastreifen verschleppt. Als Reaktion geht Israel seitdem massiv militärisch in dem Küstenstreifen vor. Nach Angaben des von der Hamas kontrollierten Gesundheitsministeriums, die sich nicht unabhängig überprüfen lassen, wurden dabei mehr als 35.300 Menschen getötet.
N.Taylor--TNT