Biden kritisiert offen Netanjahu - Weitere Eskalation im Ramadan befürchtet
Angesichts der verzweifelten Lage der Menschen im Gazastreifen hat US-Präsident Joe Biden Israels Vorgehen offen kritisiert. "Meiner Meinung nach schadet er Israel mehr, als dass er dem Land hilft", sagte Biden mit Blick auf den israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu. Derweil sanken am Sonntag die Chancen auf die erhoffte Feuerpause noch vor dem Ramadan weiter, im muslimischen Fastenmonat droht womöglich eine nochmalige Eskalation.
Biden sagte in einem am Samstagabend ausgestrahlten Interview mit dem US-Fernsehsender MSNBC, Netanjahu habe "ein Recht, Israel zu verteidigen, ein Recht, die Hamas weiter zu verfolgen". Er müsse aber "den unschuldigen Menschen, die als Folge der ergriffenen Maßnahmen ums Leben kommen, mehr Aufmerksamkeit schenken". Biden sagte aber auch, er werde Israel niemals im Stich lassen. Die Verteidigung des Lands bleibe sehr wichtig.
In Israel selbst gingen erneut zahlreiche Menschen bei Protesten gegen die Regierung Netanjahu in Tel Aviv auf die Straße. An ihrer Seite waren Familienangehörige von seit Monaten im Gazastreifen festgehaltenen israelischen Geiseln.
Im Gazastreifen ging die israelische Armee indes weiter militärisch vor. Nach von unabhängiger Seite nicht überprüfbaren Angaben der von der islamistischen Hamas kontrollierten Behörden starben infolge von mehr als 60 Angriffen am Sonntag insgesamt mindestens 85 Palästinenser.
Die israelische Armee meldete ihrerseits 30 getötete palästinensische Kämpfer. Im Zentrum des Gazastreifens hätten die Soldaten bei Luftangriffen und mit Panzern und Scharfschützen 13 Kämpfer getötet, weitere 17 in Chan Junis im "Häuserkampf".
Angesichts der verheerenden humanitären Lage im Gazastreifen wurde indes die erste Hilfslieferung per Schiff vom knapp 400 Kilometer vom Gazastreifen entfernten Zypern aus erwartet. Die Nichtregierungsorganisation Open Arms erklärte, damit sollten 200 Tonnen Lebensmittel transportiert werden, die die US-Organisation World Central Kitchen später an der Küste des Gazastreifens in Empfang nehmen werde.
Unterdessen schwanden die Hoffnungen auf eine Feuerpause noch vor Beginn des Ramadan. Die seit Wochen andauernden zähen Gespräche unter Vermittlung der USA, Ägyptens und Katars waren am Donnerstag von der Hamas mit der Begründung abgebrochen worden, die bisherigen Antworten der israelischen Regierung erfüllten "nicht die Mindestanforderungen".
Israel stehe weiterhin im Kontakt zu den Vermittlern, um "die Differenzen zu verringern und eine Einigung zu erreichen", erklärte seinerseits Netanjahus Büro. Doch die Hamas agiere "wie jemand, der nicht an einer Einigung interessiert ist", und versuche, die Stimmung in der Region während des Ramadan weiter anzuheizen. Das israelische Militär bereitete sich nach Angaben von Sprecher Daniel Hagari auf "alle möglichen Einsatzszenarien" während des Ramadan vor.
Israel geht seit dem beispiellosen Überfall der radikalislamischen Hamas auf Israel am 7. Oktober massiv militärisch im Gazastreifen vor. Dabei wurden nach Angaben des von der Hamas kontrollierten Gesundheitsministeriums, die sich nicht unabhängig überprüfen lassen, bisher mehr als 31.000 Menschen in dem Küstenstreifen getötet.
Nach Angaben der israelischen Armee wurden 248 Soldaten im Gazastreifen getötet. Bei dem Einsatz seien bisher insgesamt mehr als 10.000 palästinensische Kämpfer getötet worden.
Bei dem Überfall der Hamas am 7. Oktober hatten Kämpfer der von den USA und der EU als Terrororganisation eingestuften Palästinensergruppe israelischen Angaben zufolge etwa 1160 Menschen getötet sowie rund 250 als Geiseln verschleppt.
Am Sonntag wurde zudem erneuter Beschuss auch aus dem Grenzgebiet zwischen Israel und dem Libanon gemeldet. Die pro-iranische Schiitenmiliz Hisbollah feuerte nach eigenen Angaben dutzende Raketen auf den grenznahen israelischen Ort Meron, in dem sich eine wichtige Stellung der Luftabwehr befindet. Die Miliz stellte dies als Reaktion auf israelische Angriffe dar, bei denen am Vortag fünf Menschen im Süden des Libanon getötet worden seien - darunter drei Hisbollah-Mitglieder.
Die israelische Armee sprach von rund 35 Raketenangriffen auf den Norden des Landes, von denen ein großer Teil abgefangen worden sei. Zwischen Israel und der vom Iran unterstützten und mit der Hamas verbündeten Hisbollah-Miliz im Libanon kommt es seit dem 7. Oktober fast täglich zu Gefechten.
R.T.Gilbert--TNT