Tausende trauern bei Beerdigung von Nawalny in Moskau
Trotz Warnungen des Kremls und eines massiven Polizeiaufgebots haben am Freitag in Moskau tausende Menschen von dem in Haft gestorbenen Kreml-Kritiker Alexej Nawalny Abschied genommen. Die Trauernden versammelten sich vor einer Kirche im Bezirk Marjino im Südosten Moskaus, in der die Zeremonie für Nawalny stattfand. Danach wurde der prominente Oppositionspolitiker auf dem nahegelegenen Borisowski-Friedhof beigesetzt. Eine am Friedhof versammelte Menschenmenge skandierte Slogans wie "Nein zum Krieg" und "Wir werden nicht verzeihen!".
Landesweit wurden nach Angaben der Nichtregierungsorganisation OWD-Info mindestens 67 Menschen in 16 Städten im Zusammenhang mit den Trauerbekundungen für Nawalny festgenommen. Aus Moskau wurden sechs Festnahmen gemeldet, mindestens 18 Festnahmen gab es demnach in Nowosibirsk.
Der Leichenwagen mit dem Sarg des prominentesten Widersachers von Russlands Präsident Wladimir Putin war kurz vor Beginn der Trauerfeier unter dem Beifall der dort versammelten Menge an der Kirche eingetroffen und von vier Sargträgern in das Gotteshaus gebracht worden. Auf dem Platz vor der Kirche waren Absperrungen aus Metall aufgebaut, ein Großaufgebot von Sicherheitskräften war vor Ort.
Zahlreiche Nawalny-Anhänger waren mit Blumen zu der Trauerzeremonie gekommen, manche weinten. Unter den vor der Kirche versammelten Menschen waren auch der deutsche Botschafter Alexander Graf Lambsdorff, seine Kollegen aus Frankreich und den USA sowie einige russische Oppositionspolitiker.
Bundeskanzler Olaf Scholz würdigte im Onlinedienst X (früher Twitter) die "mutigen" Russinnen und Russen, die zu den Trauerfeierlichkeiten kamen. Sie "sind damit ein großes Risiko eingegangen - für die Freiheit", schrieb Scholz.
An der Trauerfeier in der Kirche nahmen Nawalnys Eltern teil, seine Witwe Julia Nawalnaja fehlte. Nach orthodoxem Ritus wurde der Leichnam im offenen Sarg aufgebahrt, unmittelbar nach der Zeremonie wurde aber der Sarg wieder geschlossen.
"Wir werden dich nicht vergessen" und "Vergib uns!", riefen einige der Trauernden, als der Sarg anschließend zur Beerdigung am Borisowski-Friedhof nahe des Moskwa-Ufers eintraf. Große Kränze waren um das Grab drapiert.
Nawalny sei zu den Klängen des Soundtracks von "Terminator 2" beigesetzt worden, der für den Kreml-Kritiker der "beste Film aller Zeiten" gewesen sei, erklärte seine Sprecherin Kira Jarmisch. "Auf Wiedersehen, mein Freund", schrieb der Nawalny-Unterstützer Iwan Schdanow im Onlinedienst Telegram.
In einer Abschiedsbotschaft in den Onlinenetzwerken dankte Julia Nawalnaja ihrem Mann für "26 Jahre absolutes Glück". "Ich weiß nicht, wie ich ohne dich leben soll, aber ich werde mein Bestes tun, damit du dort oben glücklich und stolz auf mich sein kannst", sagte sie. Nawalnys Bruder Oleg veröffentlichte Fotos von seinem Bruder und sich mit den Worten: "Schlafe ruhig, mein Bruder, und sorge dich um nichts."
Einige der in der Nähe des Friedhofs Versammelten bekundeten ihren Protest gegen die vor mehr als zwei Jahren von Russland gestartete Militäroffensive gegen die Ukraine. "Nein zum Krieg", rief die Menge. Die Nawalny-Anhänger skandierten zudem: "Wir werden nicht verzeihen" und "Nieder mit der Macht der Mörder".
Das Team des Kreml-Kritikers hatte nach eigenen Angaben Schwierigkeiten, einen Ort für den Trauergottesdienst zu finden. Zudem hatten sich demnach mehrere Bestattungsunternehmen geweigert, den Leichnam des Oppositionspolitikers zu transportieren.
Der Kreml hatte vor Beginn der Trauerfeier vor der Teilnahme an "nicht genehmigten" Versammlungen gewarnt. Wer an einer solchen Kundgebung teilnehme, werde "gemäß dem geltenden Recht zur Verantwortung gezogen", sagte Kreml-Sprecher Dmitri Peskow der Nachrichtenagentur Tass.
"Wovor haben sie Angst? Warum so viele Autos?", fragte die Nawalny-Anhängerin Anna Stepanowa vor der Kirche mit Blick auf die Einsatzfahrzeuge der Polizei. "Die Leute, die hierher gekommen sind, haben keine Angst. Alexej hatte auch keine."
"Wir haben keine Politiker wie ihn mehr und niemand weiß, wann wir wieder welche haben werden", sagte die 55-jährige Maria. Der 26-jährige Denis erzählte, dass Nawalny der Grund sei, warum er begonnen habe, sich politisch zu engagieren.
Nawalnys Witwe hatte am Mittwoch vor möglichen Polizeiaktionen während der Trauerfeier gewarnt. "Ich weiß nicht, ob es eine friedliche Beerdigung wird, oder ob die Polizei Menschen festnehmen wird, die sich von ihm verabschieden wollen", sagte Nawalnaja im Europaparlament. Nach Angaben von OWD-Info wurden seit Nawalnys Tod bereits 400 Menschen bei Trauerbekundungen für den Kreml-Kritiker festgenommen.
Der 47-jährige Nawalny war nach Angaben der russischen Behörden am 16. Februar in einem russischen Straflager in der Arktis gestorben, wo er eine 19-jährige Haftstrafe absaß. Den Angaben zufolge starb er eines "natürlichen Todes", die genauen Umstände sind allerdings weiter unklar.
Die Anhänger Nawalnys und zahlreiche westliche Politiker machen die russische Führung und Kreml-Chef Putin direkt für den Tod des 47-Jährigen verantwortlich. Moskau weist die Anschuldigungen zurück. Kreml-Sprecher Peskow sagte am Freitag, er habe Nawalnys Familie "nichts zu sagen".
Nach Nawalnys Tod hatten sich die Behörden acht Tage lang geweigert, den Leichnam an dessen Angehörige zu übergeben. Diese vermuteten dahinter den Versuch, die Beteiligung der Behörden an dessen Tod "zu vertuschen".
D.S.Robertson--TNT