Ukraine zieht sich aus umkämpfter Stadt Awdijiwka zurück - "um Leben zu retten"
Nach monatelangen Kämpfen um die ostukrainische Stadt Awdijiwka hat sich die ukrainische Armee aus der Stadt zurückgezogen. Die Entscheidung sei getroffen worden, "um so viele Leben wie möglich zu retten", sagte der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj am Samstag auf der Münchner Sicherheitskonferenz. Der ukrainische Rückzug aus Awdijiwka ist der größte symbolische Triumph für die russische Armee seit dem Scheitern der ukrainischen Gegenoffensive im vergangenen Sommer - und ihr bedeutendster Geländegewinn seit der Einnahme der Stadt Bachmut im Mai 2023.
Selensky betonte jedoch in München, dass dies für die russische Armee keinen Vorteil bedeute: Russland habe "nichts erobert", sagte er. Die eigenen Soldaten zu retten, "ist die wichtigste Aufgabe für uns", führte Selensky auf dem Treffen weiter aus. Selenskyj machte auf der Konferenz den Mangel an Artillerie und Waffen mit hoher Reichweite für ausbleibende Erfolge der Ukraine im Krieg verantwortlich.
Die ukrainische Armee hatte den Rückzug aus Awdijiwka in der Nacht zum Samstag bekannt gegeben. Die Soldaten hätten sich "auf zuvor vorbereitete Stellungen zurückgezogen", schrieb der für den Frontabschnitt zuständige General Oleksandr Tarnawskij im Online-Dienst Telegram.
Tarnawskij schrieb weiter, er habe "angesichts der operativen Situation um Awdijiwka" beschlossen, die Einheiten "aus der Stadt abzuziehen" und "die Verteidigung auf günstigere Linien zu verlegen, um eine Einkesselung zu vermeiden und das Leben und die Gesundheit der Soldaten zu schützen".
Der Rückzug aus der Stadt ist die erste bedeutende Entscheidung des am 8. Februar neu ernannten ukrainischen Armeechefs Oleksandr Syrskyj. "Ich habe beschlossen, unsere Einheiten aus der Stadt abzuziehen und auf eine günstigere Verteidigungslinie umzustellen", erklärte Syrskyj im Online-Dienst Facebook.
Tarnawskij erklärte, der Rückzug sei "die einzig richtige Entscheidung" angesichts einer Lage, in welcher "der Feind über die Leichen seiner eigenen Soldaten hinweg vorrückt, mit einer Überlegenheit von zehn zu eins, unter ständigem Beschuss". Laut Tarnawskij halten die ukrainischen Soldaten nun die Stellung an einer zweiten Verteidigungslinie.
Mehrere ukrainische Soldaten seien "in der Endphase der Operation unter dem Druck überlegener feindlicher Kräfte" gefangen genommen worden, fuhr der General fort. Er rief die internationale Gemeinschaft dazu auf, "unsere Soldaten in ihre Heimat zurückzubringen".
Ein an der östlichen Front eingesetzter ukrainischer Soldat sagte der Nachrichtenagentur AFP, es handele sich "angesichts des Mangels an Waffen und Artilleriegeschossen" um die richtige Entscheidung. Zugleich sagte er: "Aber wenn wir weiter an Boden verlieren, werden wir diesen Krieg verlieren."
Russland hatte seit Monaten versucht, Awdijiwka einzunehmen. Die Stadt, die vor Beginn des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine rund 33.000 Einwohner zählte, liegt in der ostukrainischen Region Donezk. Diese ist eine von insgesamt vier Regionen, die der Kreml 2022 für annektiert erklärt hatte.
Die russischen Kräfte "drängen uns ein bisschen aus der vorübergehend besetzten" Region Donezk heraus, sagte der Politikwissenschaftler Mykola Bjeljeskow vom Nationalen Institut für Strategische Studien in Kiew der AFP. Dadurch habe Russland aber noch keinen Vorteil, fuhr er fort. "Ich bezweifle, dass Russland nach so überwältigenden Verlusten die Fähigkeit hat, begrenzte örtliche Erfolge in einen großen Durchbruch zu verwandeln."
Die Schlacht um Awdijiwka ist eine der heftigsten in dem seit fast zwei Jahren andauernden Ukraine-Krieg. Awdijiwka hat auch deshalb große symbolische Bedeutung, weil von Moskau aus geführte pro-russische Separatisten die Stadt bereits im Juli 2014 eingenommen hatten - ukrainische Einheiten sie aber kurz darauf wieder unter ihre Kontrolle brachten.
B.Cooper--TNT