Warnungen vor dramatischen Folgen einer israelischen Offensive in Rafah
Angesichts der israelischen Pläne für eine Offensive in der Stadt Rafah im südlichen Gazastreifen mehren sich die Warnungen vor den dramatischen Folgen für die mehr als eine Million dort gestrandeten Flüchtlinge. Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) nannte die drohenden Angriffe am Samstag im Onlinedienst X (vormals Twitter) eine "humanitäre Katastrophe mit Ansage". Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) erklärte, es gäbe für die Zivilbevölkerung keinen sicheren Ort mehr. Derweil berichteten Augenzeugen von erneuten Luftangriffen auf die völlig überfüllte Stadt.
Die Not in Rafah sei "schon jetzt unfassbar", erklärte Außenministerin Baerbock. 1,3 Millionen Menschen hätten dort auf engsten Raum Schutz vor den Kämpfen gesucht und könnten sich "nicht in Luft auflösen". Die im Gazastreifen herrschende radikalislamische Hamas warnte vor einer "Katastrophe und einem Massaker", das zum Tod von zehntausenden Menschen führen könnte.
Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu hatte seine Armee am Freitag angewiesen, einen "kombinierten Plan zur Evakuierung der Bevölkerung und zur Zerstörung der Bataillone" der Hamas in Rafah vorzulegen. Es sei "unmöglich, das Kriegsziel zu erreichen", wenn vier Hamas-Stellungen in der Stadt im Süden des Palästinensergebiets belassen würden, argumentierte er.
Palästinenserpräsident Mahmud Abbas verurteilte die geplante Offensive und nannte sie eine "eklatante Verletzung aller roten Linien". Auch Saudi-Arabien warnte vor einer "humanitären Katastrophe" und forderte ein Eingreifen des UN-Sicherheitsrats. Das Königreich lehne den Angriff kategorisch ab und verurteile die "Zwangsdeportation" der Menschen, hieß es in einer von staatlichen Medien verbreiteten Erklärung des Außenministeriums.
Kritik kam auch von der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch. Die mehr als eine Million geflohenen Palästinenser in Rafah zu einer neuen Evakuierung zu zwingen, ohne dass es für sie einen sicheren Ort gebe "wäre illegal und hätte katastrophale Konsequenzen", erklärte HRW-Vertreterin Nadia Hardman.
Der nun seit mehr als vier Monaten andauernde Krieg im Gazastreifen hat mehr als die Hälfte der insgesamt 2,4 Millionen Einwohner im Gazastreifen aus ihren Häusern vertrieben. Die meisten von ihnen suchten im Süden des Palästinensergebiets Zuflucht vor den Kämpfen.
Hunderttausende leben nun unter desaströsen humanitären Bedingungen in Zelten in Rafah unweit der Grenze zu Ägypten. "Wir wissen nicht, wohin wir gehen sollen", sagte Mohammad al-Jarrah, der aus seiner Heimat im Norden des Gazastreifens in die Grenzstadt vertrieben wurde. "Diese Situation macht mir Angst."
Nach Angaben der von der Hamas kontrollierten Gesundheitsbehörde im Gazastreifen wurden in der Nacht zum Samstag bei israelischen Angriffen mindestens 110 Menschen getötet, darunter 25 in Rafah. Augenzeugen berichteten von einer erneuten Bombardierung der Stadt. Kämpfe wurden auch aus dem Nasser-Krankenhaus in der benachbarten Stadt Chan Junis gemeldet, in dem sich nach wie vor hunderte Verletzte und tausende Flüchtlinge aufhalten.
Angesichts des Leids der Bevölkerung forderte Außenministerin Baerbock erneut eine Feuerpause im Gazastreifen - auch um eine Freilassung der dort verbliebenen israelischen Geiseln zu erreichen. "Den Weg dahin werde ich nächste Woche erneut in Israel besprechen", fügte die Ministerin hinzu. Nach Angaben des Auswärtigen Amts wird Baerbock Mitte der kommenden Woche nach Israel reisen.
Im Ringen um eine Einigung zur Freilassung weiterer Geiseln schickt auch US-Präsident Joe Biden in der kommenden Woche CIA-Chef William Burns zu Gesprächen nach Kairo, wie das US-Nachrichtenportal "Axios" unter Berufung auf Diplomaten berichtete. Unterhändler der Hamas waren am Freitag nach "positiven und guten" Gesprächen aus Kairo abgereist, wie aus Kreisen der Palästinenserorganisation verlautete. Nun werde "eine Antwort Israel" abgewartet, hieß es.
Die von der EU und der USA als Terrororganisation eingestufte Hamas hatte den Krieg am 7. Oktober mit einem beispiellosen Überfall auf Israel ausgelöst. Israelischen Angaben zufolge wurden dabei rund 1160 Menschen brutal getötet und 250 als Geiseln in den Gazastreifen verschleppt. Israel kündigte daraufhin die Vernichtung der Hamas an und startete einen massiven Militäreinsatz im Gazastreifen. Nach jüngsten Angaben der Hamas, die sich nicht unabhängig überprüfen lassen, wurden dort seitdem mehr als 28.000 Menschen getötet.
T.Allen--TNT