Europas Bauern vielerorts weiterhin auf den Barrikaden
In einer ganzen Reihe von EU-Ländern haben am Donnerstag erneut Landwirte für mehr Geld, weniger Bürokratie und allgemein mehr Wertschätzung demonstriert. Parallel zum Ukraine-Sondergipfel der EU-Staats- und Regierungschefs legten Landwirte mit über tausend Traktoren Teile Brüssels lahm. In Frankreich blockierten Bäuerinnen und Bauern Supermärkte und weiterhin wichtige Zufahrtsstraßen nach Paris. Premierminister Gabriel Attal reagierte mit weiteren Zugeständnissen an die Branche. In Portugal störten protestierende Bauern den Verkehr ins Nachbarland Spanien.
Etwa 1300 Traktoren befänden sich in der belgischen Hauptstadt, teilte die Brüsseler Polizei mit. Wegen der weiträumigen Absperrungen um das EU-Gipfelgebäude konzentrierten sich die Proteste demnach rund um das EU-Parlament. Demonstrierende Landwirte entzündeten dort Rauchbomben und legten Feuer mit Paletten.
In Frankreich gab es kaum Anzeichen dafür, dass die seit Tagen anhaltende Protestwelle in absehbarer Zeit nachlässt. Sieben Blockaden von Autobahnen rund um Paris behinderten am Donnerstag weiterhin den Zugang zur Hauptstadt. In der Region Haute-Loire südwestlich von Lyon blockierten rund 200 Traktoren die Zufahrten zu 24 Supermärkten. Rund 60 langsam fahrende Traktoren sorgten im Süden auf der Autobahn von Perpignan nach Spanien für lange Staus.
Angespannt war die Lage weiterhin am Großmarkt von Rungis südlich von Paris. Ein massives Polizeiaufgebot sollte dort den Betrieb des weltgrößten Frischgroßmarktes sichern. Am Mittwoch waren 79 Bauern, die in das Gelände des Marktes eingedrungen waren, in Gewahrsam genommen worden. Sie kamen am Donnerstag aber wieder frei.
Premierminister Attal machte in einer Regierungsansprache weitere Zugeständnisse an die Bauern, darunter zusätzliche Hilfen in Höhe von 150 Millionen Euro und Einfuhrbeschränkungen für mit bestimmten Pestiziden behandeltes Obst und Gemüse.
In Portugal blockierten Landwirte mehrere wichtige Verbindungsstraßen ins Nachbarland Spanien. "Wir haben große Schwierigkeiten zu überleben", sagte der 58-jährige Rui Sousa der Nachrichtenagentur AFP. Der Landwirt nahm an einer Kundgebung in der Kleinstadt Golegã im Zentrum des Landes teil. Die Proteste gehen auf eine Initiative zurück, von der sich der portugiesische Bauernverband jedoch distanziert hat.
Die offizielle Vereinigung verweist darauf, dass die Regierung geplante Kürzungen der staatlichen Beihilfen wieder zurückgenommen habe. Die Regierung in Lissabon hatte am Mittwoch außerdem weitere Unterstützungsmaßnahmen für die Landwirtschaft im Umfang von 500 Millionen Euro insbesondere angesichts einer Dürre im Süden des Landes angekündigt. Darin enthalten ist auch eine Steuersenkung auf Agrardiesel.
In Frankreich und Belgien fordern die Landwirte vor allem weniger Bürokratie und höhere Subventionen. Sie wenden sich außerdem gegen das geplante Mercosur-Freihandelsabkommen mit vier südamerikanischen Staaten. Belgiens Ministerpräsident Alexander De Croo sprach sich dafür aus, das Thema Landwirtschaft und Bauernproteste auch beim Gipfeltreffen auf die Agenda zu nehmen.
Die EU-Kommission hatte am Mittwoch eine Reihe von Zugeständnissen gemacht, unter anderem eine längere Nutzung von Brachflächen für den Ackerbau und Einschränkungen bei den Zollbefreiungen für ukrainische Importe. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron wollte in einem Zweiertreffen mit EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen über die Anliegen der Bauern beraten. Er steht wegen der Proteste unter massivem innenpolitischem Druck.
Der ungarische Regierungschef Viktor Orban nutzte die Proteste für seine Zwecke: Er traf am Vorabend des Gipfels mit protestierenden Bauern zusammen und veröffentlichte ein Video davon im Onlinedienst X. "Es ist ein Fehler, wenn Europa nicht auf die Stimme des Volkes hört", schrieb er dazu. "Die EU-Kommission sollte eher die Interessen der europäischen Bauern vertreten als die der Ukrainer", zitierte ihn seine Partei.
E.Reid--TNT