Nach türkischem Votum für Schwedens Beitritt: Nato erhöht Druck auf Ungarn
Nach der Zustimmung des türkischen Parlaments zum Nato-Beitritt Schwedens richten sich alle Blicke nach Budapest. Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg äußerte am Mittwoch die Erwartung, dass Ungarn nun ebenfalls den Weg für die Aufnahme Schwedens als 32. Bündnisland freimacht. Die Bundesregierung nannte den Schritt "überfällig". Regierungschef Viktor Orban ließ die Partner weiter im Ungewissen.
Stoltenberg telefonierte mit Orban, um dem Bündnis Klarheit zu verschaffen. "Die ungarische Regierung unterstützt die Nato-Mitgliedschaft Schwedens", bekundete Orban danach zum wiederholten Mal.
Der Rechtspopulist drängte die Nationalversammlung in Budapest, die Ratifizierung des schwedischen Beitrittsprotokolls "bei erstmöglicher Gelegenheit abzuschließen", wie er auf dem Kurzbotschaftendienst X (vormals Twitter) schrieb. Orbans Fidesz-Partei hat im Parlament eine deutliche Mehrheit.
Stoltenberg erklärte, er hoffe auf die Zustimmung durch Budapest, "sobald das Parlament wieder zusammentritt". Die ungarischen Abgeordneten sind noch bis Ende Januar in der Sitzungspause. Auch eine Sprecherin des Auswärtigen Amts in Berlin drängte Ungarn, dem schwedischen Beitritt "zeitnah" zuzustimmen. "Das ist überfällig", sagte sie.
Orban hatte wiederholt versichert, Ungarn werde nicht das letzte Land sein, das den schwedischen Beitritt ratifiziere. Am Dienstag allerdings hatte er überraschend den schwedischen Regierungschef Ulf Kristersson nach Budapest eingeladen, um mit diesem persönlich "über Schwedens Nato-Beitritt zu verhandeln".
Schweden reagierte darauf reserviert. Außenminister Tobias Billström verwies darauf, dass Ungarn bereits beim Nato-Gipfel in Madrid im Sommer 2022 die offizielle Beitrittseinladung Schwedens wie alle anderen Länder unterstützt habe. "Ich sehe daher keinen Grund, heute zu verhandeln", betonte Billström.
Empört auf Orbans Vorstoß reagierte der Vorsitzende des Außenausschusses im Bundestag, Michael Roth (SPD). "Es gibt beim Nato-Beitritt Schwedens nichts mehr zu verhandeln! Erst recht nicht bilateral", schrieb er auf X. Er warf Orban die "grenzenlose Selbstüberschätzung eines Autokraten" vor. Die EU-Länder hätten dem Rechtspopulisten zu oft nachgegeben und "vor seinen Drohungen gekuscht", kritisierte Roth.
Brüsseler Diplomaten sehen in Orbans Manöver eine mögliche Retourkutsche für Kritik des EU-Partners Schweden an Rechtsstaatsmängeln in Ungarn. Die EU hat in diesem Zusammenhang milliardenschwere Hilfen für Budapest eingefroren. Orban blockiert zugleich auch geplante europäische Milliardenhilfen an die Ukraine. Deshalb ist für den 1. Februar in Brüssel ein Sondergipfel der EU-Staats- und Regierungschefs anberaumt.
Die Nato hatte zuvor mit Erleichterung auf das seit Monaten erhoffte Votum des türkischen Parlaments zu Gunsten Schwedens reagiert. Stoltenberg erklärte, dies werde die Allianz stärker machen. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) nannte die Entscheidung "wichtig und richtig", wie er auf X schrieb.
Allerdings muss der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan das schwedische Beitrittsprotokoll noch unterzeichnen. Eigentlich gilt dies als Formsache, allerdings gibt es dafür keine Frist.
Erdogan hatte die Ratifizierung des schwedischen Nato-Beitritts im vergangenen Jahr immer wieder hinausgezögert. Erst spät erklärte er öffentlich, worum es ihm wirklich geht: Die Lieferung von F-16-Kampfjets an die Türkei durch die USA. Die US-Regierung von Präsident Joe Biden ist zwar nicht abgeneigt, der Kongress blockiert einen Verkauf allerdings bisher.
Als Reaktion auf den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine hatte das traditionell blockfreie Schweden im Mai 2022 gemeinsam mit dem Nachbarn Finnland die Nato-Mitgliedschaft beantragt. Finnland konnte dem Militärbündnis im vergangenen April beitreten.
Ob Schweden als Vollmitglied am Nato-Gipfel in Washington im Juli teilnehmen kann, ist weiter unklar. Die Verbündeten feiern in der US-Hauptstadt den 75. Jahrestag des Bestehens der Allianz.
Lewis--TNT