Mehrjährige Haftstrafen für zwei Russen wegen Lesung zum Ukraine-Konflikt
Weil sie an einer öffentlichen Lesung mit Kritik an der Offensive in der Ukraine teilgenommen haben, sind zwei russische Dichter zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt worden. Artjom Kamardin, der bei der Lesung selbst ein Gedicht vorgetragen hatte, muss laut dem am Donnerstag in Moskau verkündeten Urteil sieben Jahre ins Gefängnis. Der an der Protestveranstaltung teilnehmende Igor Schtowba wurde zu fünfeinhalb Jahren Haft verurteilt.
Die beiden Männer waren wegen "Aufstachelung zum Hass" sowie "öffentlicher Aufrufe zu Aktivitäten gegen die Staatssicherheit" angeklagt. Unterstützer der beiden Dichter riefen nach der Verkündung des Urteils im Gerichtssaal "Schande!", wie ein Journalist der Nachrichtenagentur AFP beobachtete. Kamardins Vater sprach von "absoluter Willkür". Vor dem Gericht nahm die Polizei mehrere Unterstützer der Angeklagten fest.
Der 33-jährige Kamardin und der zehn Jahre jüngere Schtowba waren im September 2022 festgenommen worden, nachdem sie in Moskau an einer öffentlichen Lesung vor einer Statue des Dichters Wladimir Majakowski teilgenommen hatten - ein Treffpunkt für Dissidenten seit der Sowjetära.
Während der Lesung trug Kamardin ein Gedicht mit dem Titel "Töte mich, Milizionär!" vor, das sich sehr kritisch mit den prorussischen Separatisten in der Ostukraine auseinandersetzt. Zudem rief er Parolen gegen das imperiale Projekt "Neurussland", das darauf abzielt, den Süden der Ukraine zu annektieren.
Am darauffolgenden Tag wurde Kamardin in seiner Wohnung festgenommen. Dabei wurde er nach eigenen Angaben von der Polizei geschlagen und mit einer Hantel vergewaltigt. Zudem versuchten die Beamten demnach, seine damalige Freundin und heutige Ehefrau Alexandra Popowa einzuschüchtern. In einem Interview mit der Nachrichtenagentur AFP Ende 2022 sagte Popowa, die Polizei habe ihr mit "Gruppenvergewaltigung" gedroht, sie geschlagen und Kleber auf ihre Wangen und ihren Mund gesprüht.
Popowa nannte das nun verkündete Urteil eine "sehr harte Strafe". "Sieben Jahre für Gedichte, für ein nicht gewalttätiges Verbrechen", sagte sie im Gerichtssaal. "Wenn wir normale Gerichte hätten, würde so etwas nicht passieren", kritisierte Popowa. Sie wurde nach ihrer Äußerung vor Journalisten von der Polizei abgeführt.
Kamardin selbst hatte vor der Urteilsverkündung in einer von seinen Unterstützern veröffentlichten Erklärung gesagt, er sei kein Held: Ins Gefängnis zu gehen, "für das, was ich denke, war nie Teil meiner Pläne". Er bat den Richter, ihn freizulassen, dafür wolle er sich künftig von "heiklen Themen" fernhalten und sich nicht öffentlich dazu äußern.
Auch der 23-jährige Schtowba betonte, er habe nicht gegen das Gesetz verstoßen. In seiner letzten Aussage vor Gericht, die von der unabhängigen Website "Mediazona" veröffentlicht wurde, fragte er den Richter: "Was habe ich getan, das illegal ist? Gedichte gelesen?"
Russland unterdrückt seit Jahren kritische Stimmen, doch das Vorgehen gegen Andersdenkende hat mit dem Beginn der Offensive gegen die Ukraine ein neues Ausmaß angenommen. Seit deren Beginn im Februar 2022 wurden tausende Russen wegen Kritik an der Offensive verurteilt, teils zu sehr harten Strafen. Die Prozesse gegen "gewöhnliche" Russen finden, anders als die Prozesse gegen prominente Kritiker, in der Regel unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt.
A.Parker--TNT