EU einigt sich nach jahrelangem Streit auf umstrittene Asylreform
Durchbruch nach jahrelangem Streit: Die Europäische Union hat sich im Grundsatz auf eine umfassende Reform der Asyl- und Migrationspolitik geeinigt, wie die Unterhändler von Europaparlament und Mitgliedsländern am Mittwoch in Brüssel mitteilten. Während Menschenrechtsorganisationen entsetzt reagierten, bezeichnete der UN-Hochkommissar für Flüchtlinge, Filippo Grandi, die Verständigung als "sehr positiven Schritt".
Die Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (Geas) sieht unter anderem Asylverfahren direkt an den EU-Außengrenzen vor. Deutschland scheiterte mit seiner Forderung, Familien mit Kindern aus humanitären Gründen davon auszunehmen. Mit der Reform will die Europäische Union nach jahrelangem Streit die Lehren aus den Jahren 2015 und 2016 ziehen, als allein nach Deutschland mehr als eine Million Menschen kamen.
EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen zeigte sich erleichtert über die Einigung: "Sie bedeutet, dass die Europäer entscheiden, wer in die EU kommt und wer bleiben darf, nicht die Menschenhändler. Damit schützen wir diejenigen, die in Not sind." Parlamentspräsidentin Roberta Metsola sprach von der "wichtigsten Einigung" der Legislatur bei einem Thema, das den Bürgerinnen und Bürgern ein Anliegen sei. UN-Flüchtlingskommissar Grandi gratulierte der EU im Onlinedienst X, vormals Twitter, zu der politischen Einigung.
In Deutschland besonders umstritten waren die geplanten Grenzverfahren, die Migranten mit geringen Aufnahmechancen an der Weiterreise in die EU hindern sollen. Die Grünen-Spitze war wegen ihrer Zustimmung zu dem Asylpakt massiver Kritik der Basis ausgesetzt. Sie hoffte auf Nachbesserungen durch das Europaparlament, das sich aber in zentralen Punkten nicht gegen die Mitgliedsländer durchsetzen konnte.
Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Grüne) verteidigte die EU-Einigung als "dringend notwendig und längst überfällig". Zur Wahrheit gehöre aber auch, dass es sich um einen Kompromiss handele. "Bei der pauschalen Ausnahme von Kindern und Familien aus den Grenzverfahren konnten wir uns als Deutschland nicht durchsetzen", räumte sie ein.
Länder wie Italien, Frankreich und die Niederlande lobten den Kompromiss. Der italienische Innenminister Matteo Piantedosi sprach von einem "großen Erfolg" und sagte, Länder wie Italien fühlten sich "nicht länger allein".
Grund ist ein verpflichtender Solidaritätsmechanismus zwischen den Mitgliedsländern, mit dem pro Jahr mindestens 30.000 Menschen umverteilt werden sollen. Deutschland müsste damit theoretisch rund 6600 Migranten aufnehmen, kann aber vorherige Leistungen anrechnen.
Nicht aufnahmewillige Staaten wie Ungarn können sich zudem mit 20.000 Euro pro Migrant freikaufen. Budapest will sich jedoch nicht an den Asylpakt halten: "Niemand aus Brüssel oder sonst woher kann uns sagen, wen wir reinlassen, und wir weigern uns aufs Schärfste, dafür bestraft zu werden", sagte der ungarische Außenminister Peter Szijjarto.
Menschenrechtsorganisationen reagierten bestürzt. "Ich bin entsetzt: Die heute erzielte Einigung ist ein menschenrechtlicher Dammbruch", erklärte Julia Duchrow, Generalsekretärin von Amnesty International in Deutschland. Felix Braunsdorf, Migrationsexperte von Ärzte ohne Grenzen, sprach von einem "Kompromiss auf Kosten der Menschenrechte". "Es ist ein schwarzer Tag für den Flüchtlingsschutz und für das Friedensprojekt Europa", erklärte auch Migrationsexperte Andreas Grünewald von Brot für die Welt.
Der Deutsche Frauenrat warnte vor "haftähnlichen Bedingungen" für Migranten in Lagern an den EU-Außengrenzen. Von dort ist es nach der Einigung möglich, Asylbewerber direkt abzuschieben, auch in sogenannte sichere Drittstaaten. Länder wie Italien und Österreich zählen dazu etwa Tunesien oder Albanien.
Der Vorsitzende und Fraktionschef der Europäischen Volkspartei, Manfred Weber (CSU), pries die EU-Einigung dagegen als "Meilenstein", um die Kontrolle über die Grenzen wiederzuerlangen. Scharfe Kritik kam dagegen aus dem Lager der Linken: Die Europaabgeordnete Cornelia Ernst (Linkspartei) sprach von einem "historischen Kniefall vor den Rechtspopulisten in Europa".
Die Zeit für eine Verständigung drängte, denn der Asylpakt soll rechtspopulistischen Parteien wie der AfD bei den Europawahlen Anfang Juni den Wind aus den Segeln nehmen, wie Metsola sagte. Nun müssen die Mitgliedsländer und das Europaparlament das Paket mit fünf Gesetzestexten noch formell beschließen. Danach läuft eine zweijährige Umsetzungsfrist für die Mitgliedsländer.
R.Campbell--TNT