Netanjahu hält trotz versehentlicher Tötung von Geiseln an Kurs im Gazakrieg fest
Trotz der versehentlichen Tötung dreier Geiseln durch das eigene Militär setzt Israel seine Angriffe im Gazastreifen unvermindert fort. Die von der radikalislamischen Hamas kontrollierte Gesundheitsbehörde meldete am Sonntag dutzende Tote durch Bombardierungen der israelischen Armee an verschiedenen Orten des Küstenstreifens. Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu betonte, sein Land werde "bis zum Ende" kämpfen - entgegen zunehmender internationaler Appelle nach einer erneuten Waffenruhe.
Laut dem Gesundheitsministerium der Hamas wurden bei Angriffen auf das Flüchtlingslager Dschabalija im Norden des Gazastreifens 24 Palästinenser getötet; weitere zwölf Menschen starben demnach bei Angriffen auf die Stadt Deir al-Bala im Zentrum des Palästinensergebiets. Auch der Süden wurde Augenzeugen zufolge bombardiert.
Sein Land werde "bis zum Ende" kämpfen, betonte Israels Ministerpräsident Netanjahu. "Wir werden alle unsere Ziele erreichen - die Hamas vernichten, alle Geiseln befreien und dafür sorgen, dass der Gazastreifen nicht wieder zu einem Zentrum des Terrorismus wird."
Die israelische Regierung gerät jedoch zunehmend unter Druck - sowohl aus dem Ausland, als auch durch die Familien der Geiseln im eigenen Land. Nachdem die Armee bekanntgeben musste, dass israelische Soldaten irrtümlich drei Geiseln im Gazastreifen erschossen haben, protestierten am Freitagabend und am Samstag hunderte Angehörige der Geiseln in Tel Aviv und forderten neue Verhandlungen zur Freilassung der Verschleppten. Nach jüngsten israelischen Angaben befinden sich noch immer 129 Geiseln in der Gewalt der Palästinenserorganisation.
Die Tötung der drei Geiseln habe "das Herz der ganzen Nation" gebrochen, sagte Netanjahu. Der Ministerpräsident betonte jedoch zugleich, dass der "militärische Druck" auf die Hamas notwendig sei, um die Rückkehr der Entführten und den Sieg im Krieg zu erreichen.
Derweil lieferte das israelische Militär zu der irrtümlichen Tötung der Geiseln erste Untersuchungsergebnisse. Demnach waren die Männer im Alter zwischen 25 und 28 Jahren am Freitag "einige Dutzend Meter" vor einer israelischen Stellung in der Stadt Gaza aufgetaucht. Sie seien mit einer behelfsmäßigen weißen Fahne auf die Soldaten zugegangen, was von diesen aber als Bedrohung wahrgenommen worden sei, sagte ein Militärvertreter. Ein Soldat habe daraufhin das Feuer eröffnet.
Unterdessen forderten internationale Spitzenpolitiker erneut eine Waffenruhe im Gazastreifen. "Wir alle müssen alles tun, was wir können, um den Weg für eine nachhaltige Waffenruhe zu ebnen, die zu einem nachhaltigen Frieden führt", erklärten Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Grüne) und ihr britischer Kollege David Cameron in einem gemeinsamen Gastbeitrag in der britischen Zeitung "Sunday Times". Weiter forderten sie die Hamas auf, die Waffen niederzulegen.
Angesichts der vielen toten Zivilisten im Gazastreifen sprach sich auch Frankreichs Außenministerin Catherine Colonna nach einem Treffen mit ihrem israelischen Kollegen Eli Cohen für eine "erneute umgehende und dauerhafte Feuerpause" aus. Cohen betonte dagegen, dass eine Einstellung der Kämpfe derzeit ein "Geschenk für die Hamas" wäre.
Der Golfstaat Katar, der Ende November maßgeblich an der Vermittlung einer siebentägigen Waffenruhe zur Freilassung von Geiseln beteiligt war, bestätigte am Samstag "laufende diplomatische Bemühungen um eine Erneuerung einer humanitären Pause". Zuvor hatte das Nachrichtenportal "Axios" von einem geplanten Treffen zwischen dem israelischen Mossad-Geheimdienstdirektor David Barnea und dem katarischen Regierungschef Mohammed ben Abdelrahmane Al-Thani berichtet.
Der Krieg zwischen Israel und der Hamas dauert inzwischen bereits zehn Wochen an. Hunderte Kämpfer der von der EU und den USA als Terrororganisation eingestuften Hamas waren am 7. Oktober in israelische Orte eingedrungen und hatten dort Gräueltaten an Zivilisten verübt. Israelischen Angaben zufolge wurden mehr als 1130 Menschen getötet und rund 250 als Geiseln in den Gazastreifen verschleppt.
Als Reaktion bombardiert die israelische Armee seither Ziele im Gazastreifen und startete eine Bodenoffensive. Dabei wurden nach Angaben des von der Hamas kontrollierten Gesundheitsministeriums, die nicht unabhängig überprüft werden können, bislang rund 18.800 Menschen getötet. Auf israelischer Seite wurden seit Beginn des Kriegs Armeeangaben zufolge 121 Soldaten im Gazastreifen getötet.
Durch die andauernden Bombardierungen liegen große Teile des Gazastreifens in Trümmern, darunter auch zahlreiche Krankenhäuser. Laut einem Team der Weltgesundheitsorganisation (WHO) gleicht die Notaufnahme des zerstörten Al-Schifa-Krankenhauses im Norden der Stadt Gaza einem "Blutbad".
Laut der WHO ist das Al-Ahli-Arab-Krankenhaus derzeit die einzige "teilweise funktionierende" Klinik im gesamten Norden des Gazastreifens. Vor dem Krieg gab es dort 24 funktionierende Einrichtungen. Israel wirft der Hamas vor, unter anderem Krankenhäuser als Verstecke zu nutzen, was die militante Palästinenserorganisation bestreitet.
E.Reid--TNT