Trotz irrtümlicher Tötung von Geiseln: Netanjahu hält an Kurs in Gaza-Krieg fest
Die versehentliche Tötung dreier Geiseln im Gazastreifen durch israelische Soldaten hat die Sorgen in Israel um die übrigen von der Hamas verschleppten Menschen nochmals gesteigert. Dennoch will Ministerpräsident Benjamin Netanjahu weiter "militärischen Druck" auf die militante Palästinenserorganisation ausüben, wie er am Samstagabend klarmachte. Er bezeichnete diesen "Druck" als unerlässlich für erneute Verhandlungen mit der Hamas.
Die versehentliche Tötung der Geiseln hat Israel tief erschüttert. Seither gab es Proteste vor dem Verteidigungsministerium in Tel Aviv, bei denen Angehörige von Geiseln und andere Unterstützer sofortige neue Verhandlungen mit der Hamas über die Freilassung der Verschleppten forderten. "Wir nehmen wieder und wieder tote Geiseln in Empfang", sagte Noam Perry, deren Vater Haim Perry sich in der Händen der Hamas befindet.
Netanjahu sagte auf einer Pressekonferenz, die irrtümliche Tötung der drei Geiseln habe ihm "das Herz gebrochen". Dieser Vorfall "hat das Herz der gesamten Nation gebrochen". Der Ministerpräsident betonte jedoch zugleich, dass der "militärische Druck" auf die Hamas notwendig sei, um die Rückkehr der Entführten und den Sieg im Krieg zu erreichen.
Die Anweisungen, die er dem israelischen Verhandlungsteam gebe, basierten "auf diesem Druck, und ohne ihn haben wir nichts", betonte Netanjahu. Die Hamas erklärte aber am Samstag, sie sei nicht zu neuen Verhandlungen über Geisel-Freilassungen bereit, wenn "die Aggression gegen unser Volk nicht komplett aufhört".
Netanjahu sprach nicht konkret über mögliche neue Verhandlungen mit der Hamas. In Medienberichten hieß es jedoch, nach der versehentlichen Tötung der drei Geiseln wende sich die israelische Regierung wieder dem Weg der Verhandlungen zu.
Im Rahmen einer zwischen Israel und der Hamas vereinbarten Waffenruhe waren Ende November im Verlauf einer Woche etwa hundert Geiseln freigelassen worden. Im Gegenzug ließ Israel 240 palästinensische Häftlinge aus den Gefängnissen frei. Nach israelischen Angaben befinden sich aber noch immer 129 Geiseln in der Gewalt der Hamas.
Zu der irrtümlichen Tötung der drei Geiseln lieferte die israelische Armee erste Untersuchungsergebnisse. Demnach waren die drei Männer im Alter zwischen 25 und 28 Jahren am Freitag "einige Dutzend Meter" vor einer israelischen Stellung in der Stadt Gaza aufgetaucht. Sie seien mit einer behelfsmäßigen weißen Fahne auf die Soldaten zugegangen, was von diesen aber als Bedrohung wahrgenommen worden sei, sagte ein Militärvertreter. Ein Soldat habe daraufhin das Feuer eröffnet.
Zwei der Geiseln seien sofort getötet worden, sagte der Militärvertreter. Die dritte Geisel sei verletzt worden und zurück in ein Gebäude gerannt. Danach sei ein Hilferuf auf Hebräisch erklungen. Der Bataillonskommandeur habe daraufhin sofort befohlen, das Feuer einzustellen. Dennoch habe es einen weiteren Feuerstoß in Richtung der dritten Geisel gegeben, die daraufhin ebenfalls getötet worden sei.
Die drei Männer waren den Angaben zufolge möglicherweise von der Hamas zurückgelassen worden oder hatten flüchten können. Netanjahu hatte den Vorfall am Freitag in einer ersten Reaktion als "unerträgliche Tragödie" bezeichnet.
Die heftigen Kämpfe im Gazastreifen gingen am Samstag weiter. Die israelische Armee durchsuchte nach eigenen Angaben zwei Schulen in der Stadt Gaza, die von der Hamas als Verstecke genutzt worden seien. Das Lateinische Patriarchat von Jerusalem teilte mit, die israelische Armee habe auf dem Gelände der einzigen katholischen Kirche des Gazastreifens eine ältere Frau und deren Tochter getötet. Die beiden Frauen seien von den Kugeln eines Scharfschützen getroffen worden
Sieben weitere Menschen seien in der Gemeinde der heiligen Familie in der Stadt Gaza durch Schüsse verletzt worden, erklärte das Patriarchat. Die israelischen Streitkräfte erklärten auf Anfrage, sie prüften den Vorfall. In der Kirchengemeinde haben seit Beginn des Krieges christliche Familien Zuflucht gesucht.
Der Krieg zwischen Israel und der Hamas dauert inzwischen bereits zehn Wochen an. Hunderte Kämpfer der von der EU und den USA als Terrororganisation eingestuften Hamas waren am 7. Oktober in israelische Orte eingedrungen und hatten dort Gräueltaten an Zivilisten verübt. Israelischen Angaben zufolge wurden mehr als 1130 Menschen getötet und rund 250 als Geiseln in den Gazastreifen verschleppt.
Als Reaktion bombardiert die israelische Armee seither Ziele im Gazastreifen und startete eine Bodenoffensive. Dabei wurden nach jüngsten Angaben des von der Hamas kontrollierten Gesundheitsministeriums, die nicht unabhängig überprüft werden können, bislang rund 18.800 Menschen getötet.
Der Krieg hat auch die Spannungen an der Grenze Israels mit dem Libanon deutlich verschärft. So teilte die israelische Armee am Samstag mit, einer ihrer Soldaten sei im Gebiet Margaliot an der Grenze zum Libanon durch ein "feindliches Fluggerät" getötet worden. Zwei weitere Soldaten seien verletzt worden. Es handelte sich um den siebten israelischen Soldaten, der seit Beginn des Gaza-Krieges an der Grenze zum Libanon getötet wurde.
Auf libanesischer Seite starben in den zehn Wochen nach einer Zählung der Nachrichtenagentur AFP mehr als 120 Menschen, die meisten von ihnen Hisbollah-Kämpfer.
T.Cunningham--TNT