Kabinett will Etat 2023 mit Nachtragshaushalt verfassungskonform machen
Nach dem Karlsruher Urteil zur Staatsfinanzierung will die Bundesregierung den laufenden Jahreshaushalt auf eine verfassungsrechtlich sichere Grundlage stellen. Das Bundeskabinett verabschiedete deshalb am Montag einen Nachtragshaushalt, zu dessen Finanzierung es für 2023 nachträglich die Schuldenbremse aussetzen will. Bundesfinanzminister Christian Lindner verzichtete aus Spargründen überraschend auf eines der Kernvorhaben seiner FDP, die Startfinanzierung der Aktienrente. Allein dieser Schritt spart zehn Milliarden Euro ein.
Das Kabinett bat den Bundestag, offiziell eine Notlage festzustellen, um die Schuldenbremse abermals aussetzen zu können. Das Bundesfinanzministerium begründete die nachträgliche Ausrufung der Notlage damit, dass der durch den Krieg in der Ukraine ausgelöste "Energiepreisschock" auch noch im Jahr 2023 "deutlich spürbar" sei.
"Mit dem Nachtragshaushalt 2023 ziehen wir die Konsequenzen aus dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts", erklärte Bundesfinanzminister Lindner. Er betonte, es würden "in diesem Jahr keine zusätzlichen Schulden" aufgenommen, sondern im Ergebnis sogar weniger, weil die Regierung an anderer Stelle weniger Geld ausgibt.
Der Nachtragshaushalt umfasst Kredite im Volumen von 44,8 Milliarden Euro. Davon weist das Bundesfinanzministerium aber nur 27,4 Milliarden Euro als Nettokreditaufnahme aus. Die Differenz erklärt sich dadurch, dass die Bundesregierung nun Teile jener Schulden, die sie bereits in früheren Jahren außerhalb des regulären Haushalts aufgenommen hatte, in den regulären Haushalt des laufenden Jahrs einstellen muss - dies hatte das Bundesverfassungsgericht verlangt.
Unerwartet verzichtete Lindner in dem Nachtragshaushalt auf die Startfinanzierung für die Aktienrente. Sein Etat sieht für dieses Jahr nun "schuldenregelneutrale Minderausgaben durch Wegfall des Darlehens an das Generationenkapital im Jahr 2023" in Höhe von zehn Milliarden Euro vor. Damit wird in diesem Jahr noch kein Geld in den Kapitalstock der Aktienrente fließen.
Lindner hatte das Generationenkapital im Januar angekündigt. Mit ihm soll eine weitere Säule zur Finanzierung des Rentensystems geschaffen und Steuer- und Beitragszahler langfristig entlastet werden. Dies war ein wichtiges Anliegen der FDP in der Ampel-Koalition.
Der Nachtragshaushalt sieht im Einzelnen vor, dass die Rücklage im Klima- und Transformationsfonds um 60 Milliarden Euro gekürzt wird - das Verfassungsgericht hatte diese Umbuchung aus nicht genutzten Corona-Krediten für nichtig erklärt. Dem Fonds stünden aber "weiterhin ausreichend Mittel zur Verfügung, um seine Ausgaben im Jahr 2024 tätigen zu können", erklärte das Ministerium.
An den Wirtschaftsstabilisierungsfonds (WSF), aus dem die Energiepreisbremsen finanziert werden, sollen für 2023 nachträglich 43,2 Milliarden Euro an Krediten übertragen werden. Der WSF soll zum Jahresende aufgelöst werden. Damit schlagen im Haushalt auch nicht jene WSF-Ausgaben zu Buche, die für 2024 vorgesehen waren.
Für den WSF hatte die Bundesregierung vergangenes Jahr 200 Millionen Euro an Kreditermächtigungen vorgesehen. Das Karlsruher Urteil zwang die Bundesregierung nun dazu, die WSF-Ausgaben für das laufende Jahr auch im laufenden Haushalt auszuweisen.
Weitere 1,6 Milliarden an Krediten sind im Nachtragshaushalt für den Aufbauhilfefonds für die Gebiete der Hochwasserkatastrophe von 2021 vorgesehen.
FDP-Haushälter Christoph Meyer rechtfertigte die neuerliche Aussetzung der Schuldenbremse, gegen die sich die FDP lange gesträubt hatte. Der Notlagebeschluss für 2023 sei "eine rein technische Anpassung zur Legitimierung der Energiepreisbremsen und der Folgebewältigung der Hochwasserkatastrophe 2021", sagte Meyer zu AFP.
Unionsfraktionschef Friedrich Merz (CDU) bewertete den Nachtragshaushalt als "gewagte, aber durchaus mögliche Konstruktion". Die Union werde dem Etat voraussichtlich nicht zustimmen, aber auch nicht dagegen klagen. Anders sähe es aus, falls die Bundesregierung auch für den Haushalt 2024 die Schuldenbremse aussetzen wolle, sagte Merz. Dies wäre aus Sicht der Union verfassungswidrig und könnte eine Klage nach sich ziehen.
SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich rief die Koalition dazu auf, den Haushalt für 2024 noch dieses Jahr zu verabschieden. Die Bundesregierung stellt sich allerdings bereits darauf ein, dass dies nicht möglich ist, wie Regierungssprecher Steffen Hebestreit sagte. Möglicherweise werde der Etat erst Ende Januar verabschiedet sein.
O.Nicholson--TNT