Israelische Soldaten stürmen größtes Krankenhaus im Gazastreifen
Nach tagelangen Kämpfen rund um das Al-Schifa-Krankenhaus in Gaza hat die israelische Armee am Mittwoch die größte Klinik des Gazastreifens gestürmt. In der Einrichtung finde ein "präziser und gezielter" Militäreinsatz statt, teilte die Armee mit. Die USA hatten zuvor Angaben Israels unterstützt, wonach die islamistische Hamas dort ein Kommandozentrum eingerichtet habe. Nach der Erstürmung bekräftigte das Weiße Haus die Forderung, dass Krankenhäuser und Patienten geschützt werden müssen. Die UNO und das Rote Kreuz zeigten sich äußerst besorgt und übten Kritik an dem israelischen Vorgehen.
Nach der Erstürmung in den frühen Morgenstunden forderten israelische Soldaten die Männer im Krankenhaus auf, sich zu ergeben, wie ein Journalist vor Ort der Nachrichtenagentur AFP berichtete. "Alle Männer ab 16 Jahren heben die Hände und verlassen das Gebäude", kam als Anweisung auf Arabisch aus einem Lautsprecher. Jussef Abul Reesch, ein Beamter des von der Hamas geführten Gesundheitsministeriums, sagte AFP, er habe Panzer im Inneren des Krankenhauskomplexes und "dutzende Soldaten (...) in den Notaufnahme- und Empfangsgebäuden" gesehen.
Die Erstürmung des Krankenhauses markiert für Israel ein wichtiges Ziel seines Feldzugs zur Zerschlagung der radikalislamischen Palästinenserorganisation Hamas. "Auf der Grundlage nachrichtendienstlicher Informationen (...) führen israelische Verteidigungskräfte eine präzise und gezielte Operation gegen die Hamas in einem bestimmten Bereich des Al-Schifa-Krankenhauses aus", hieß es in einer Erklärung des Militärs. Der Einsatz ziele auf eine mutmaßliche Kommandozentrale der Hamas auf dem Gelände ab.
US-Geheimdienstquellen bestätigten indes Angaben Israels zu einer Hamas-Zentrale auf dem Klinikgelände. Die Hamas und der Islamische Dschihad "betreiben einen Kommando- und Kontrollknotenpunkt von Al-Schifa in Gaza-Stadt aus", sagte der Sprecher des Nationalen Sicherheitsrates, John Kirby, am Dienstag (Ortszeit).
Die Hamas machte den US-Präsidenten für die Stürmung des Krankenhauses verantwortlich. Der falsche Vorwurf der USA, wonach "der Widerstand" das Krankenhaus für militärische Zwecke nutze, habe Israel grünes Licht für "weitere Massaker an Zivilisten" gegeben, erklärte die islamistische Miliz.
Die palästinensische Autonomiebehörde verurteilte den israelischen Einsatz als "eklatante Verletzung" des Völkerrechts. Das palästinensische Außenministerium forderte eine "dringendes internationales Eingreifen, um die dortigen Zivilisten zu schützen". Palästinenserpräsident Mahmud Abbas sprach von einem "Krieg gegen die Existenz der Palästinenser".
Nach UN-Angaben befinden sich mindestens 2300 Patienten, Mitarbeiter und geflüchtete Zivilisten in der Klinik, die nach tagelangen Kämpfen und Luftangriffen komplett abgeriegelt ist. Das Gesundheitsministerium der Hamas sprach von 20.000 Menschen in dem Krankenhauses, darunter tausende Verletzte. Zeugen beschrieben die Zustände in der Klinik als verheerend: Medizinische Eingriffe fänden ohne Betäubung statt, es gebe kaum noch Wasser, Nahrung oder Treibstoff.
Israelische Streitkräfte erklärten, sie hätten der Hamas eine Frist von zwölf Stunden gesetzt, um jegliche Militäroperation in dem Krankenhaus einzustellen. Das sei nicht erfolgt.
Das Weiße Haus erklärte, es werde sich "nicht zu den Einzelheiten einer laufenden israelischen Militäroperation äußern." Die USA unterstützten Angriffe auf ein Krankenhaus nicht. "Krankenhäuser und Patienten müssen geschützt werden", sagte ein Sprecher. Am Montag hatte bereits US-Präsident Joe Biden betont, das Krankenhaus müsse geschützt werden.
Die UNO und das Rote Kreuz zeigten sich äußerst besorgt um die Sicherheit von Patienten, Flüchtlingen und medizinischem Personal in der Klinik. UN-Nothilfekoordinator Martin Griffiths zeigte sich im Online-Dienst X "entsetzt" über das Vordringen von Soldaten in die Klinik. "Krankenhäuser sind kein Schlachtfeld", erklärte er.
Jordanien machte dem UN-Sicherheitsrat schwere Vorwürfe. "Die Katastrophe im Al-Schifa-Krankenhaus zeigt die Barbarei, die der UN-Sicherheitsrat durch sein Schweigen zulässt", erklärte Außenminister Ayman Safadi.
Hunderte Kämpfer der Hamas waren am 7. Oktober nach Israel eingedrungen und hatten Gräueltaten überwiegend an Zivilisten verübt. Israelischen Angaben zufolge wurden etwa 1200 Menschen in Israel getötet und rund 240 Menschen als Geiseln in den Gazastreifen verschleppt.
Seitdem greift das israelische Militär Ziele im Gazastreifen an. Nach Angaben der Hamas, die sich nicht unabhängig überprüfen lassen, wurden dort bisher mehr als 11.300 Menschen getötet.
Seit Beginn des Krieges sind nur wenige Hilfsgüter in den abgeriegelten Küstenstreifen gelangt. Wie der staatsnahe ägyptische Sender Al Kahera News berichtete, überquerte am Mittwoch erstmals wieder ein Tanklaster von Ägypten aus den Rafah-Grenzübergang in das Palästinensergebiet. Der Treibstoff werde an die Vereinten Nationen geliefert, um den Transport von Hilfsgütern zu erleichtern, hieß es von ägyptischer Seite. Das UN-Hilfswerk für palästinensische Flüchtlinge (UNRWA) erklärte allerdings, die Liefermenge sei "überhaupt nicht ausreichend".
Nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation (WHO) ist die Situation in vielen Krankenhäusern des Gazastreifens ebenfalls düster. 22 von 36 Kliniken seien nicht betriebsfähig aufgrund von Treibstoffmangel, Schäden oder Kämpfen.
Die Chefin des UN-Kinderhilfswerks Unicef, Catherine Russell, forderte die Konfliktparteien bei einem Besuch des Gazastreifens auf, das "Grauen" zu beenden. Sie erklärte: "Was ich gesehen und gehört habe, war erschütternd."
S.Arnold--TNT