Israel fliegt heftigste Luftangriffe im Gazastreifen seit Kriegsbeginn
Die israelische Armee hat in der Nacht zum Samstag die heftigsten Luftangriffe im Gazastreifen seit dem Kriegsbeginn vor drei Wochen geflogen. Angaben des Militärs zufolge wurden dabei 150 unterirdische und militärische Ziele der radikalislamischen Hamas getroffen. Zudem sei einer der Hauptverantwortlichen für den Hamas-Großangriff auf Israel getötet worden. Palästinensischen Angaben zufolge wurden bei dem nächtlichen Beschuss hunderte Gebäude im Norden des Gazastreifens komplett zerstört.
Die massiven Bombardierungen hätten in Gaza-Stadt "die Landschaft verändert", sagte ein Sprecher des palästinensischen Zivilschutzes der Nachrichtenagentur AFP. Neben den komplette zerstörten Gebäuden wurden nach seinen Angaben tausende weitere beschädigt. In einer zerbombten Straße in dem Viertel Tal al-Hawa in Gaza-Stadt berichtete die 50-jährige Om Walid Basal, ihr Wohnblock sei von Israel komplett vernichtet worden. Noch am Morgen hing laut AFP-Journalisten eine dichte Rauchwolke über der Stadt.
Auch im Flüchtlingslager Schati innerhalb von Gaza-Stadt verursachten die israelischen Angriffe Augenzeugen zufolge erhebliche Schäden. "Was in Schati passiert ist, ist schlimmer als ein Erdbeben", sagte der 54-jährige Bewohner Alaa Mahdi der AFP. Laut dem palästinensischen Zivilschutz befand sich unter den Trümmern im Gazastreifen "eine große Anzahl" von Toten und Überlebenden, zu denen zunächst nicht vorgedrungen werden konnte.
Israels Armee erklärte, bei den nächtlichen Angriffen 150 unterirdische Ziele der Hamas getroffen zu haben, unter anderem Tunnel, Kampfräume und Infrastruktur. Zudem wurden ihren Angaben zufolge "Terroristen" der radikalislamischen Palästinenserorganisation getötet, darunter auch der Hamas-Chef für Luftangriffe, Assem Abu Rakaba. Er soll Großangriff auf Israel Anfang Oktober eine Schlüsselrolle gespielt haben.
Nachdem sie am Vortag eines Ausweitung der Bodeneinsätze angekündigt hatte, drang die israelische Armee eigenen Angaben zufolge in der Nacht auch mit Soldaten in den Gazastreifen ein. Die Essedin-al-Kassam-Brigaden, der bewaffnete Arm der im Gazastreifen herrschenden Hamas, meldete aus zwei Gebieten Gefechte mit israelischen Soldaten.
Auch am Samstag setzte Israel seine Angriffe auf den Gazastreifen fort. Israels Armeesprecher Daniel Hagari erklärte, die Streitkräfte wollten ihre Bombardierungen "aus der Luft und vom Meer aus" fortsetzen. Die Tötung einiger ihrer Anführer habe die Hamas geschwächt, fügte er hinzu.
Die UN-Vollversammlung in New York forderte am Freitag in einer Dringlichkeitssitzung mit großer Mehrheit eine "sofortige humanitäre Waffenruhe" im Gazastreifen. Die Resolution, in der die Hamas mit keinem Wort erwähnt wurde, wurde von Israel scharf kritisiert und von der Hamas begrüßt.
Auch der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan forderte Israel auf, die Angriffe auf den Gazastreifen sofort einzustellen. "Israel muss diesen Wahnsinn sofort stoppen und die Angriffe beenden", erklärte Erdogan im Onlinedienst X, vormals Twitter. Weiter lud er zu einer Kundgebung zur Unterstützung "des palästinensischen Volkes gegen die Verfolgung durch Israel" ein. Der türkische Präsident erachtet die Hamas nicht als Terrororganisation, sondern als eine "Gruppe von Befreiern", die ihr Land verteidige.
Angesichts der massiven Bombardierungen des Gazastreifens forderten die Familien der dort von der Hamas festgehaltenen Geiseln eine Erklärung der israelischen Regierung. Die Familien machten sich Sorgen um das Schicksal ihrer Angehörigen, erklärte eine Gruppe, die mehrere Familien vertritt. Die Mitglieder seien wütend darüber, dass sich kein Mitglied der israelischen Regierung die Mühe gemacht habe, zu erklären, "ob die israelischen Bodeneinsätze eine Gefahr für die 229 von den Behörden identifizierten Geiseln darstellen".
Unterdessen blieben die Kommunikationswege in den Gazastreifen weiter gestört. Die Hamas-Führung erklärte, Israel habe die Kommunikation und den größten Teil des Internets im Gazastreifen gekappt. Auch mehrere internationale Organisationen teilten mit, keinen Kontakt mehr zu ihren Mitarbeitern im Gazastreifen zu haben, darunter die Menschenrechtsorganisation Amnesty International.
Seit dem am 7. Oktober begonnenen Großangriff der Hamas auf Israel wird eine großangelegte israelische Bodenoffensive im Gazastreifen erwartet. Bei dem brutalen Angriff der Islamisten waren nach israelischen Angaben etwa 1400 Menschen getötet und 229 Menschen als Geiseln verschleppt worden. Als Reaktion riegelte Israel den Gazastreifen ab und startete massive Luftangriffe. Zudem kündigte Israel eine große Bodenoffensive im Gazastreifen an.
Bei den israelischen Angriffen auf das weitgehend abgeriegelte Palästinensergebiet wurden nach Angaben des von der Hamas geleiteten Gesundheitsministeriums seit Kriegsbeginn nach jüngsten Angaben vom Samstag mehr als 7700 Menschen getötet, darunter mehr als 3500 Kinder. Diese Angaben lassen sich nicht unabhängig überprüfen.
S.Lee--TNT