Intensive internationale Bemühungen um Hilfslieferungen für Zivilisten im Gazastreifen
Knapp zwei Wochen nach Beginn des Kriegs zwischen der radikalislamischen Hamas und Israel laufen die Bemühungen um erste Hilfslieferungen für die Zivilisten im abgeriegelten Gazastreifen auf Hochtouren. Während Israel das Palästinensergebiet weiter bombardierte, wurden am Grenzübergang Rafah zwischen Ägypten und dem südlichen Gazastreifen die Schäden durch israelische Luftangriffe beseitigt, um die von Washington und Kairo angekündigte Passage von Hilfslieferungen zu ermöglichen. Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Grüne) brach zu einer neuen Nahost-Reise auf, um sich für humanitäre Hilfe und die Freilassung deutscher Hamas-Geiseln einzusetzen.
Ägypter behoben am Donnerstag Schäden, die durch israelische Luftangriffe verursacht worden waren, wie Augenzeugen der Nachrichtenagentur AFP schilderten. Erste Hilfslieferungen dürften den Grenzübergang daher wahrscheinlich nicht vor Freitag passieren können. Seit Tagen würden "150 Lastwagen in Rafah warten", sagten die Augenzeugen. Die Hilfsgüter in den Lastwagen stammen aus Ägypten oder wurden von anderen Staaten zum nahegelegenen Flughafen in al-Arisch geflogen, der Hauptstadt der ägyptischen Provinz Nord-Sinai.
Die israelische Armee setzte unterdessen ihre Luftangriffe auf den Gazastreifen fort. "Es ist seit drei Nächten hart, aber die letzte Nacht war die härteste", sagte der Anwohner Umm Mohamed Abu Siada der Nachrichtenagentur AFP über die Bombardements in Gaza.
Die radikalislamische Palästinenserorganisation Hamas hatte am 7. Oktober bei einem Großangriff auf Israel etwa 1400 Menschen getötet und mehr als 200 weitere in den Gazastreifen verschleppt, unter ihnen mehrere Deutsche. Israel riegelte daraufhin das Palästinensergebiet ab, stoppte die Lieferung von Treibstoff, Lebensmitteln und Wasser und startete massive Gegenangriffe. Die Abriegelung des Gazastreifens will Israel so lange aufrechterhalten, bis alle von der Hamas verschleppten israelischen Geiseln freigelassen werden.
US-Präsident Joe Biden und Ägyptens Präsident Abdel Fattah al-Sisi verständigten sich am Mittwoch auf eine dauerhafte Lieferung von humanitärer Hilfe in den Gazastreifen über den Grenzübergang Rafah. Zuvor hatte Israel auf Ersuchen Bidens den Lieferungen zugestimmt. Biden, der am Mittwoch Israel besucht hatte, erhielt nach eigenen Angaben die Zusage des ägyptischen Präsidenten, dass zunächst "bis zu 20 Lastwagen" den Grenzübergang Rafah passieren dürften.
Nach UN-Schätzungen sind bislang rund eine Million der 2,4 Millionen Einwohner des Gazastreifens in den Süden des Palästinensergebiets geflohen. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) warnt vor einer humanitären Katastrophe. Nach Angaben der örtlichen Behörden wurden im Gazastreifen inzwischen mehr als 3500 Menschen getötet.
Es gibt vielfältige diplomatische Bemühungen um eine Deeskalation des Konflikts. Bundesaußenministerin Baerbock reiste zu einem zweitägigen Besuch in die Region mit den Stationen Jordanien, Israel und Libanon. "Unsere unverbrüchliche Solidarität gilt Israel im Kampf gegen die Hamas", erklärte die Ministerin vor ihrer Abreise und bekräftigte Israels Selbstverteidigungsrecht "in dem Rahmen, den das Völkerrecht für solche Ausnahmesituationen vorgibt".
Baerbock kündigte an, sich für Hilfslieferungen in den Gazastreifen einzusetzen. Die humanitäre Lage dort sei "katastrophal". Die Außenministerin will sich auch weiter um die Freilassung deutscher Hamas-Geiseln bemühen. Dies war bereits ein Schwerpunkt ihrer Reise nach Israel und Ägypten in der vergangenen Woche.
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) rief die Hamas auf, die Geiseln "ohne Vorbedingungen" freizulassen. Mit Blick auf die Hilfslieferungen für den Gazastreifen sagte er in einer Regierungsklärung im Bundestag, er sei zuversichtlich, dass ein Weg gefunden werde, "dass die notwendigste Versorgung mit Lebensmitteln mit Wasser mit Medikamenten auch gewährleistet ist".
Der britische Premierminister Rishi Sunak reiste am Donnerstag zu Gesprächen mit Ministerpräsident Benjamin Netanjahu und Staatschef Isaac Herzog nach Israel. UN-Generalsekretär António Guterres wird nach Angaben Kairos am Donnerstag in Ägypten erwartet. Ebenfalls in Kairo stand für Donnerstag ein Treffen des ägyptischen Präsidenten Abdel Fattah al-Sisi mit dem jordanischen König Abdullah II. auf dem Programm. Beide Länder sind seit Jahrzehnten wichtige Vermittler im Nahost-Konflikt.
Nach dem Raketeneinschlag auf einem Krankenhausgelände in Gaza am Dienstagabend hatte Jordanien ein für Mittwoch geplantes Gipfeltreffen zwischen König Abdullah II., Biden, al-Sisi und Palästinenserpräsident Abbas kurzfristig abgesagt. Die jordanische Regierung machte ebenso wie andere muslimische Länder Israel für den Raketeneinschlag im Ahli-Arab-Krankenhaus verantwortlich.
Israel weist dies zurück und spricht von einer fehlgeleiteten Rakete der Palästinensermiliz Islamischer Dschihad. Die israelische Armee zweifelte auch die von den Behörden im Gazastreifen genannte Zahl von 471 Todesopfern an. Ein ranghoher Vertreter eines europäischen Geheimdienstes sagte am Mittwoch, es gebe "wahrscheinlich zwischen zehn und 50" Tote.
A.M.Murray--TNT