Israel drängt Palästinenser zu schneller Flucht aus nördlichem Gazastreifen
Vor dem erwarteten Beginn einer Bodenoffensive hat Israel die palästinensischen Bewohner am Samstag zur Eile bei der Flucht aus dem Norden des Gazastreifens aufgerufen. International wuchs die Sorge wegen der humanitären Lage in dem belagerten Palästinensergebiet. Die EU verkündete eine Verdreifachung ihrer humanitären Hilfe für den Gazastreifen. Das israelische Militär meldete die Tötung zweier für den Großangriff auf Israel mitverantwortlicher Hamas-Kommandeure. Bei Einsätzen im Norden des Gazastreifens fanden israelische Soldaten nach Armeeangaben mehrere Leichen von entführten Israelis.
Am Freitagmorgen hatte die israelische Armee rund 1,1 Millionen Zivilisten im Norden des Gazastreifens aufgefordert, das Gebiet Richtung Süden zu verlassen. Sie begründete ihren Aufruf mit geplanten Militäreinsätzen in den kommenden Tagen. Am Samstagabend sagte ein Armeesprecher, Israel räume den Bewohnern weitere Zeit ein, "weil es noch eine riesige Menge Leute gibt, die gehen müssen".
"Wir werden den Zivilisten weiterhin Zeit geben die Orte zu verlassen, die die Hamas nach unserer Überzeugung für ihre terroristische Infrastruktur nutzt", ergänzte Außenministeriumssprecher Lior Haiat.
"Sind Sie bereit für das, was kommt? Es wird noch mehr kommen", sagte Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu laut einem von seinem Büro verbreiteten Video am Samstag bei einem Truppenbesuch nahe der Grenze zum Gazastreifen.
Die israelische Armee tötete nach eigenen Angaben zwei führende Vertreter der Hamas, die für den Großangriff auf Israel vor einer Woche mitverantwortlich gewesen sein sollen. Die Hamas bestätigte den Tod ihrer beiden Anführer zunächst nicht.
Die radikalislamische Palästinenserorganisation Hamas hatte Israel vor einer Woche mit tausenden Raketen und hunderten Kämpfern angegriffen. Die Kämpfer richteten in mehreren Orten Südisraels ein Blutbad an und töteten insgesamt mehr als 1300 Menschen. Etwa 120 Menschen wurden als Geiseln in den Gazastreifen verschleppt. Armeesprecher Lerner sagte am Samstagabend, bei begrenzten israelischen Militäreinsätzen im Gazastreifen seien die Leichen mehrerer Geiseln gefunden worden.
Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Grüne) führte am Samstag Krisengespräche in der ägyptischen Hauptstadt Kairo, bei denen unter anderem die Bemühungen um die Freilassung der Hamas-Geiseln im Mittelpunkt standen. Nach Baerbocks Worten sind den Behörden acht mutmaßlich entführte deutsche Staatsbürger bekannt.
Israel bombardiert den Gazastreifen seit einer Woche nahezu ununterbrochen. Insgesamt wurden dabei nach Angaben des von der Hamas geführten Gesundheitsministeriums bisher 2215 Menschen getötet.
EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen verkündete am Samstag nach einem Gespräch mit UN-Generalsekretär António Guterres eine Verdreifachung der humanitären Hilfen für den Gazastreifen auf insgesamt 75 Millionen Euro.
EU-Ratspräsident Charles Michel lud die Staats- und Regierungschef der Europäischen Union für Dienstag zu einem Sondergipfel per Videoschaltung ein. Es sei "von höchster Wichtigkeit", dass die EU mit Blick auf die eskalierende Lage im Nahen Osten eine gemeinsame Linie festlege, erklärte er.
Hamas-Chef Ismail Hanija warf Israel vor, Kriegsverbrechen im Gazastreifen zu begehen. In einer Fernsehansprache forderte Hanija die Bewohner des Gazastreifens zudem auf, sich der "Vertreibung" innerhalb des Palästinensergebiets oder nach Ägypten zu verwehren.
Bundesaußenministerin Baerbock betonte bei ihrem Besuch in Kairo, der Kampf gegen die Hamas müsse "mit größtmöglicher Rücksicht auf die humanitäre Situation" im Gazastreifen geführt werden.
Ein hochrangiger israelischer Beamter räumte derweil "Fehler" in den Einschätzungen der Geheimdienste im Vorfeld des Hamas-Großangriffs ein. Es habe die Überzeugung geherrscht, dass Hamas "ihre Lehren" aus der letzten Eskalation des Konflikts mit Israel im Jahr 2021 gezogen habe, sagte der nationale Sicherheitsberater Tzachi Hanegbi. Dies habe sich als Fehler herausgestellt.
A.Little--TNT