Schon vor erwarteter Großoffensive israelische Boden-Einsätze im Gazastreifen
Bereits vor ihrer erwarteten Großoffensive im Gazastreifen sind israelische Bodentruppen zu vereinzelten Einsätzen in das Palästinensergebiet eingedrungen. Die Einsätze hätten der Suche nach "vermissten Personen" sowie nach "Terroristen" und deren Waffen gedient, gab die Armee am Freitag bekannt. Zugleich rief sie mehr als eine Million Palästinenser im Norden des Gazastreifens auf, das Gebiet zu verlassen.
Bei den vereinzelten Bodeneinsätzen im Gazastreifen "in den vergangenen 24 Stunden" seien "Beweise gesammelt worden, die helfen sollen, die Aufenthaltsorte von Geiseln zu finden", sagte ein Militärsprecher am Abend. Am Morgen hatte die Armee alle Zivilisten im Norden des Gazastreifens aufgerufen, sich zu "ihrer eigenen Sicherheit" in ein Gebiet südlich des Flusslaufs Wadi Gaza zu begeben. Sie begründete diesen Aufruf, der laut UNO rund 1,1 Millionen Palästinenser betrifft, mit geplanten Militäreinsätzen in den kommenden Tagen.
Um die Bevölkerung zu informieren, wurden von Israel unter anderem Flugblätter in arabischer Sprache per Drohnen über dem Palästinensergebiet abgeworfen. Tausende Palästinenser ergriffen daraufhin die Flucht. AFP-Korrespondenten sahen auf Straßen in Richtung des südlichen Gazastreifens zahlreiche Menschen, die zu Fuß, in Autos, mit Motorrädern oder Eselkarren unterwegs waren.
Die Vereinten Nationen kritisierten die Evakuierungsanordnung, diese sei "unmöglich" umsetzbar. UN-Generalsekretär António Guterres sei "im ständigen Kontakt mit den israelischen Behörden, um sie aufzufordern, eine humanitäre Katastrophe zu verhindern", sagte sein Sprecher. Das Internationale Komitee vom Rotem Kreuz (IKRK) erklärte seinerseits, der Evakuierungsaufruf an die Palästinenser "gekoppelt mit der vollständigen Belagerung, die ihnen Nahrung, Wasser und Strom vorenthält", sei "nicht mit dem humanitären Völkerrecht vereinbar".
Die Hamas hatte Israel am vergangenen Samstag mit einem Großangriff überfallen und rund 150 Menschen als Geiseln verschleppt. Bei den Kämpfen wurden nach Behördenangaben auf israelischer Seite bislang mehr als 1300 Menschen getötet. Die israelische Armee nahm in der Folge den von der Hamas beherrschten Gazastreifen unter Beschuss, dabei wurden nach jüngsten Angaben der Hamas-Behörden bisher rund 1800 Palästinenser getötet. Zudem kündigte Israel an, sich auf eine Bodenoffensive im Gazastreifen vorzubereiten.
US-Außenminister Antony Blinken forderte Israel auf, bei Angriffen Rücksicht auf die Zivilbevölkerung zu nehmen. "Wir haben die Israelis dazu gedrängt, jede erdenkliche Vorsichtsmaßnahme zu ergreifen, um Schaden für Zivilisten zu vermeiden", sagte er einen Tag nach seinem Besuch in Israel. Nach Angaben eines US-Regierungsvertreters zeigte sich Israel offen für die Einrichtung "sicherer Zonen" für die Zivilbevölkerung im Gazastreifen.
Der palästinensische Ministerpräsident Mohammed Schtajjeh warf Israel vor, einen "Völkermord" im Gazastreifen zu verüben. "Unser Volk im Gazastreifen erleidet einen Völkermord und der Gazastreifen ist zu einem Katastrophengebiet geworden", sagte Schtajjeh in Ramallah im von Israel besetzten Westjordanland. Dort wurden am Freitag bei Auseinandersetzungen zwischen israelischen Soldaten und Demonstranten neun Palästinenser getötet.
Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Grüne) stattete ihrerseits Israel einen Solidaritätsbesuch ab und sprach dabei auch mit Angehörigen von Hamas-Geiseln mit deutscher Staatsbürgerschaft. Sie forderte die radikale Palästinenserorganisation auf, alle verschleppten Menschen freizulassen.
"Lassen Sie diese unschuldigen Menschen, lassen Sie diese unschuldigen kleinen Mädchen frei", sagte Baerbock bei ihrem Treffen mit dem israelischen Außenminister Eli Cohen. Deutschland sei "mit allen Akteuren, die Kontakt mit der Hamas haben, im Austausch, um deutlich zu machen, dass diese Geiseln befreit werden müssen". Zugleich sicherte Baerbock Israel im Namen der Bundesregierung und des deutschen Volkes "unsere umfassende Solidarität" und "unsere volle Unterstützung" zu.
Während ihres Besuches mussten die Ministerin und Angehörige der Geiseln in Tel Aviv wegen Raketenalarms in einen Schutzraum der deutschen Botschaft Zuflucht suchen. Nach 15 Minuten sei der Alarm wieder aufgehoben worden, hieß es aus ihrem Ministerium. Am Samstag will Baerbock Krisengespräche in Ägypten führen, das traditionell als Vermittler im Nahost-Konflikt fungiert.
T.Bailey--TNT