Israel bildet Notstandsregierung und Kriegskabinett
Vier Tage nach dem Großangriff der Hamas auf Israel haben der israelische Regierungschef Benjamin Netanjahu und der Oppositionspolitiker Benny Gantz am Mittwoch eine Notstandsregierung gebildet. Einer gemeinsamen Erklärung zufolge einigten sie sich auf eine gemeinsame "Notstandsregierung und auf ein Kriegskabinett". Derweil fuhr Israel mit seinen massiven Luftangriffen auf den Gazastreifen fort.
Nach dem folgenschwersten Angriff auf Israel seit seiner Staatsgründung vor 75 Jahren hatte Netanjahu den Oppositionsspitzen am Samstag den Eintritt in eine Notstandsregierung angeboten. Zuvor hatte sich das Kabinett einstimmig dafür ausgesprochen.
Oppositionsführer Jair Lapid schloss sich nicht an, ihm werde aber ein Sitz in dem neuen Kabinett freigehalten, hieß es. Dem dreiköpfigen "Kriegskabinett" sollen Netanjahu, Gantz und Verteidigungsminister Joav Gallant angehören. Netanjahu stimmte laut der Erklärung zudem zu, die umstrittene Justizreform der rechtsreligiösen Regierung auf Eis zu legen, die monatelange Massenproteste ausgelöst hatte.
Derweil stieg die Zahl der bestätigten Todesopfer weiter: Die israelische Armee sprach von 1200 getöteten Israelis. Bei der "überwiegenden Mehrheit" handele es sich um Zivilisten, sagte Armeesprecher Jonathan Conricus am Mittwoch - vier Tage nach dem Großangriff der Hamas auf Israel. Nach Armeeangaben wurden mehr als 2700 weitere Menschen verletzt. Im von der Hamas beherrschten Gazastreifen meldete das Gesundheitsministerium 1055 Tote und 5184 Verletzte.
Israel griff derweil am Mittwoch den Gazastreifen unvermindert an. Dabei wurden nach Hamas-Angaben allein in der Nacht mindestens 30 Menschen getötet. Hunderte weitere Menschen seien zudem verletzt worden, teilte das Medienbüro der Hamas-Regierung mit. Schwarzer Rauch waberte in der Luft der palästinensischen Enklave, ganze Häuserblocks lagen in Schutt und Asche. Auch die mit der radikalislamischen Hamas verbundene Islamische Universität in Gaza wurde bombardiert.
Das Palästinensergebiet, in dem rund 2,3 Millionen Menschen leben, ist seit dem Hamas-Angriff von Israel abgeriegelt und ohne Wasser und Stromzufuhr. Viele Wohnviertel sind völlig zerstört. In den Krankenhäusern herrschen nach den Berichten von AFP-Korrespondenten katastrophale Zustände. Das einzige Kraftwerk im Gazastreifen wurde am Mittwoch wegen Treibstoffmangels abgeschaltet. Im Al-Schifa-Krankenhaus in Gaza würden Vorrät wie Sauerstoff knapp, sagte der Notfallmediziner Mohammed Ghonim.
Netanjahu hatte am Dienstag in einem Telefonat mit US-Präsident Biden gesagt, der Großangriff der Hamas zeuge von einer "Brutalität", wie es sie "seit dem Holocaust nicht mehr gegeben" habe. Biden sicherte Israel erneut die feste Unterstützung seines Landes zu.
Die im Gazastreifen herrschende Hamas hatte am Samstag einen Großangriff auf Israel gestartet, woraufhin die israelische Armee zehntausende Soldaten mobilisierte und den Gazastreifen unter Dauerbeschuss nahm. Am Dienstag meldete die israelische Armee, dass in Israel und rund um den Gazastreifen die Leichen von etwa 1500 Hamas-Kämpfern gefunden worden seien.
150 Menschen wurden nach Angaben der israelischen Armee von den Kämpfern entführt und in den Gazastreifen verschleppt. Unter den von der Hamas Entführten sind nach Einschätzung des Auswärtigen Amtes vermutlich auch Menschen mit deutscher Staatsbürgerschaft, eine junge deutsche Touristin wurde laut Medienberichten bei einem Besuch im Kibbuz Nir Os nahe des Gazastreifens getötet.
Für in Israel festsitzende Deutsche will die Lufthansa am Donnerstag und Freitag "auf Bitte des Auswärtigen Amts" Sonderflüge anbieten und sie so nach Hause holen. "Die allermeisten" gestrandeten Schülergruppen seien aber bereits zurück in Deutschland, sagte der deutsche Botschafter in Israel, Steffen Seibert, dem Sender RTL.
Angesichts des zusätzlichen Beschusses von militanten Gruppen aus Syrien und dem Libanon sieht sich Israel mit der Gefahr eines Mehrfrontenkriegs konfrontiert. Die israelische Armee griff am Mittwoch erneut Ziele im Südlibanon an, den die pro-iranische Hisbollah-Miliz kontrolliert. Kurz zuvor gemachte Angaben zu einem mutmaßlichen "Eindringen" vom Libanon in den israelischen Luftraum zog die israelische Armee am Mittwochabend zurück und sprach von einem "Irrtum", dessen Ursache nun geprüft werde.
Der russische Präsident Wladimir Putin warnte, eine Ausweitung des Konflikts sei "unter allen Umständen" zu vermeiden. Er rief Israel und die Palästinenser zur Rückkehr an den Verhandlungstisch auf. Chinas Nahost-Gesandter Zhai Jun forderte in einem Gespräch mit der Vize-Außenministerin der Palästinensischen Autonomiebehörde einen "unverzüglichen Waffenstillstand".
Aus Angst vor den israelischen Vergeltungsangriffen auf den Gazastreifen verlassen in dem Palästinensergebiet immer mehr Menschen ihre Häuser. Nach UN-Angaben sind inzwischen mehr als 260.000 Menschen auf der Flucht. Die Nummer der Binnen-Vertriebenen im Gazastreifen sei die höchste Zahl seit 2014.
G.Morris--TNT