Israel riegelt nach Hamas-Angriff den Gazastreifen vollständig ab
Zwei Tage nach dem Großangriff der radikalislamischen Hamas riegelt Israel den Gazastreifen vollständig ab. Es werde in dem dicht besiedelten Palästinensergebiet "keinen Strom, keine Lebensmittel, kein Wasser, kein Gas" mehr geben, sagte Verteidigungsminister Joav Gallant am Montag. Die israelische Armee, die nach eigenen Angaben inzwischen wieder die Kontrolle über die angegriffenen Ortschaften erlangt hat, zog hunderttausende Reservisten zusammen und beschoss hunderte weitere Ziele im Gazastreifen.
Am Montagmorgen hatte die Armee noch von Gefechten an mehreren Orten im Grenzgebiet zum Gazastreifen gesprochen. Wenige Stunden später verkündete Armeesprecher Daniel Hagari dann, die Armee habe "die Kontrolle über die Orte" wiedererlangt. Es könnten sich in südisraelischen Gebieten in der Nähe des Gazastreifens aber noch einzelne "Terroristen" aufhalten.
"Wir haben 15 der 24 Ortschaften, die an der Grenze liegen, vollständig evakuiert", sagte Hagari. Die Evakuierungen würden voraussichtlich "innerhalb der nächsten 24 Stunden" abgeschlossen. Nach Angaben des Sprechers wurden inzwischen 300.000 israelische Reservisten mobilisiert.
Der Überfall der Hamas war der schwerste Angriff auf Israel seit dem Jom-Kippur-Krieg vor genau 50 Jahren. Die im Gazastreifen herrschende Palästinenserorganisation begann ihren Großangriff auf Israel am Samstagmorgen. Sie schoss tausende Raketen auf Israel ab. Nach Angaben von Armeesprecher Jonathan Conricus drangen schätzungsweise tausend palästinensische Kämpfer in israelisches Staatsgebiet ein und töteten und verschleppten dort Zivilisten und Soldaten.
Besonders viele Menschen starben beim Angriff auf ein Musikfestival unter freiem Himmel. Er gehe von "etwa 200 bis 250 Leichen" allein auf dem Festivalgelände in der Nähe des Gazastreifens aus, sagte der Sprecher des israelischen Rettungsdienstes Zaka, Moti Bukjin, am Montag. "Sie haben die Menschen kaltblütig auf unvorstellbare Weise abgeschlachtet",
Armeesprecher Conricus sprach mit Blick auf den Hamas-Angriff vom "bei Weitem schlimmsten Tag in Israels Geschichte". Nie zuvor seien so viele Israelis auf einen Schlag getötet worden. Es sei ein "11. September und ein Pearl Harbour in einem". Israel reagierte mit Angriffen auf Ziele im Gazastreifen und erklärte am Sonntag den Kriegszustand. Ministerpräsident Benjamin Netanjahu stimmte sein Land auf einen "langen und schwierigen Krieg" ein.
In der Nacht zum Montag griff die israelische Armee nach eigenen Angaben mehr als 500 Einrichtungen der Hamas und der militanten Palästinensergruppe Islamischer Dschihad im Gazastreifen an. Nach Angaben der Hamas wurden bei israelischen Luftangriffen am Sonntagabend auch vier im Gazastreifen festgehaltene "Gefangene" getötet.
In Jerusalem wurde am Montagmittag Luftalarm wegen Raketenangriffen ausgelöst. Anschließend waren mehrere Explosionen zu hören.
Nach Angaben von Verteidigungsminister Gallant riegelt Israel den Gazastreifen nun vollständig ab. Viele Beobachter rechnen außerdem mit einer israelischen Bodenoffensive im Gazastreifen.
Nach vorläufigen Angaben wurden auf israelischer Seite mehr als 700 Menschen getötet. Auch zwölf Thailänder, zehn Nepalesen, neun US-Bürger sowie Menschen aus Großbritannien, Kanada, Frankreich, der Ukraine und Kambodscha waren unter den Todesopfern. Unter den rund hundert Geiseln sind laut israelischer Armee auch "Kinder, Babys, alte und behinderte Menschen". Nach Angaben aus dem Auswärtigen Amt zählen offenbar auch Menschen dazu, die sowohl die israelische als auch die deutsche Staatsbürgerschaft haben.
Im Gazastreifen gab es bislang 560 Tote, wie das Gesundheitsministerium der Hamas am Montag mitteilte. Das UN-Büro für humanitäre Angelegenheiten (Ocha) sprach von mehr als 123.000 Geflüchteten im Gazastreifen. Auf beiden Seiten gab es außerdem tausende Verletzte.
Bei einer Dringlichkeitssitzung des UN-Sicherheitsrats verurteilten einige Mitgliedstaaten den massiven Angriff der Hamas. Die Reaktion erfolgte jedoch nicht einstimmig, wie der US-Botschafter bei der UNO, Robert Wood, mit Verweis auf Staaten wie Russland beklagte. Der UN-Menschenrechtsrat gedachte der Opfer mit einer Schweigeminute. Die EU-Außenminister wollen am Dienstag bei einer Sondersitzung über die Lage in Nahost beraten.
Die US-Regierung hatte am Sonntag angesichts des "beispiellosen Terroranschlags der Hamas" Munitionslieferungen für die israelische Armee und eine Verstärkung ihrer Militärpräsenz in der Konfliktregion angekündigt. Laut Verteidigungsminister Lloyd Austin werden der Flugzeugträger "USS Gerald R. Ford" und seine Begleitschiffe ins östliche Mittelmeer verlegt.
Der Iran wies unterdessen den Vorwurf einer Beteiligung am Großangriff der Hamas zurück. Die Palästinenser seien nicht auf fremde Hilfe angewiesen, da sie "die notwendigen Kapazitäten, die Kraft und den Willen" hätten, sich selbst zu verteidigen, sagte Außenamtssprecher Nasser Kanani in Teheran. Der iranische Präsident Ebrahim Raisi hatte den Hamas-Angriff am Sonntag als berechtigte Selbstverteidigung der Palästinenser bezeichnet.
P.Barry--TNT