Führung von Bergkarabach kündigt Auflösung der selbst ernannten Republik an
Der jahrzehntelange Konflikt um die Kaukasusregion Bergkarabach geht zu Ende: Nach der Niederlage der pro-armenischen Kräfte gegen Aserbaidschan hat die Führung von Bergkarabach am Donnerstag die Auflösung der selbsternannten Republik verkündet. In einem Dekret ordnete sie an, zum 1. Januar 2024 "alle staatlichen Institutionen und Organisationen" in der Kaukasusregion aufzulösen. Bergkarabach werde damit "aufhören zu existieren". Armeniens Regierungschef Nikol Paschinjan warf Aserbaidschan "ethnische Säuberung" vor.
Der Anführer der selbsternannten Republik Bergkarabach, Samwel Schahramanjan, erklärte in seinem am Donnerstag veröffentlichten Dekret, die aus Bergkarabach geflüchteten Menschen und die dort verbliebenen Bewohner müssten angesichts der bevorstehenden Wiedereingliederung der Region in Aserbaidschan "individuell entscheiden, ob sie bleiben oder zurückkehren wollen".
Bergkarabach gehört völkerrechtlich zu Aserbaidschan, es leben dort aber überwiegend ethnische Armenier. Die Region hatte sich 1991 nach einem international nicht anerkannten und von der aserbaidschanischen Minderheit boykottierten Referendum für unabhängig erklärt.
Der erbitterte Streit um die Region galt als einer der ältesten "eingefrorenen Konflikte" der Welt. Seit dem Zerfall der Sowjetunion lieferten sich Aserbaidschan und Armenien zwei Kriege um die Region, zuletzt im Jahr 2020. Damals hatte das traditionell mit Armenien verbündete Russland nach sechswöchigen Kämpfen mit mehr als 6500 Toten ein Waffenstillstandsabkommen vermittelt, das Armenien zur Aufgabe großer Gebiete zwang.
Am 19. September startete Aserbaidschan dann eine großangelegte Militäroffensive in Bergkarabach. Bereits einen Tag später mussten sich die pro-armenischen Kämpfer in der Region geschlagen geben - ein bedeutender Sieg für den aserbaidschanischen Präsidenten Ilham Alijew.
Baku erklärte sich im Zuge einer Waffenruhe bereit, pro-armenische Kräfte, die ihre Waffen niederlegen, nach Armenien ausreisen zu lassen. Zudem wurden Verhandlungen über die Rückkehr der Region unter die Kontrolle Aserbaidschans eingeleitet. Truppen Aserbaidschans rückten bis an den Stadtrand von Stepanakert vor, der Gebietshauptstadt von Bergkarabach.
Seitdem haben zehntausende Menschen die Region Richtung Armenien verlassen. Inzwischen seien mehr als 70.000 Menschen und damit mehr als die Hälfte der Bevölkerung Bergkarabachs nach Armenien geflohen, teilte die Regierung in Eriwan am Donnerstag mit. Ursprünglich lebten dort rund 120.000 ethnische Armenier.
Der Exodus dauere an, sagte Ministerpräsident Paschinjan am Donnerstag bei einer Kabinettssitzung. "Unsere Analyse zeigt, dass es in den nächsten Tagen keine Armenier mehr in Bergkarabach geben wird." Paschinjan sprach von einem "Akt der ethnischen Säuberung", vor dem seine Regierung die internationale Gemeinschaft immer gewarnt habe.
Das Außenministerium in Baku veröffentlichte einen Appell, in dem es die Bewohner von Bergkarabach aufrief, zu bleiben und "Teil der multiethnischen Gesellschaft Aserbaidschans" zu werden.
Armeniens Regierungschef Paschinjan warf den aserbaidschanischen Sicherheitskräften hingegen "illegale Festnahmen" von Menschen vor, die von Bergkarabach nach Armenien gelangen wollten. Am Mittwoch hatten aserbaidschanische Grenzschützer den früheren Anführer der pro-armenischen Kräfte in Bergkarabach, Ruben Wardanjan, festgenommen.
Am Donnerstag ordnete ein Gericht in Baku an, den Geschäftsmann für vier Monate in Untersuchungshaft zu nehmen. Wardanjan, der von November 2022 bis Februar 2023 an der Spitze der selbsternannten Regierung in Bergkarabach stand, werden Terrorfinanzierung und andere Straftaten zur Last gelegt. Ihm droht eine jahrelange Haftstrafe.
Die Vereinten Nationen forderten nach Wardanjans Festnahme die Achtung seiner Menschenrechte. Die aserbaidschanischen Behörden müssten "alle Maßnahmen ergreifen, um sicherzustellen, dass das Recht auf ein ordentliches Verfahren und einen fairen Prozess gewahrt wird", erklärte das UN-Hochkommissariat für Menschenrechte in Genf.
Russland nahm die Ankündigung der Auflösung von Bergkarabach eigenen Angaben zufolge "zur Kenntnis". Kreml-Sprecher Dmitri Peskow betonte zudem, er sehe keinen Anlass für eine Flucht der Armenier aus Bergkarabach.
Zudem kritisierte Peskow die Pläne Armeniens, nach der Auflösung von Bergkarabach dem Internationalen Strafgerichtshof (IStGH) beizutreten. "Diese Art von Entscheidungen sind aus unserer Sicht extrem feindselig", erklärte Peskow. Russland erkennt den IStGH, der im Frühjahr einen Haftbefehl gegen Kreml-Chef Wladimir Putin erlassen hat, nicht an.
Die Spannungen zwischen Moskau und Eriwan hatten sich wegen der Rolle der russischen Friedenstruppen im Konflikt um Bergkarabach verschärft. Armenien fühlte sich von seinem Verbündeten im Stich gelassen, weil Russland angesichts der Militäroffensive nicht eingegriffen hatte.
A.Davey--TNT